
Heute geht es in unserer Reihe Nachfgefragt: um iranische Bücher. Doris Hermanns hat sich mit Anahita Redisiu vom Forough Verlag unterhalten, der in Köln auch einen Buchladen hat, in dem es hauptsächlich Bücher auf Farsi gibt, daneben aber auch einge auf Deutsch.
Doris Hermanns: Der Forough Verlag ist gerade 25 Jahre alt geworden. Herzlichen Glückwunsch dazu! Wer hat damals den Verlag gegründet und mit welchem Anliegen? Gab es – wie heute – von Anfang an den Verlag und den Buchladen?
Vielen lieben Dank. Ja, am Weltfrauentag 1998 haben meine Eltern, Minu und Hamid, die Verlagsbuchhandlung eröffnet. Die Idee war von Beginn an Autor:innen und Themen, die im Iran unter dem islamischen Regime verboten sind, eine Möglichkeit der Veröffentlichung und Verbreitung zu geben. Die Verlagsbuchhandlung ist nach der verstorbenen iranischen Dichterin Forough Farrokhzad benannt. Ihre Werke wurden teilweise auch unter dem islamischen Regime verboten. So standen bereits von Anfang an Frauen und ihre Bücher im Fokus des Verlags und der Buchhandlung.

Wie kam es, dass Du Forough übernommen hast?
Noch habe ich Forough nicht übernommen. Ich arbeite mit und über die Jahre habe ich mehr Verantwortung übernommen. Dennoch machen Minu und Hamid den Großteil der Arbeit.
Wie viele seid ihr im Verlag, mit wie vielen arbeitet ihr im Buchladen?
Wir drei bilden den Kern. Mittlerweile haben wir zwei weitere
Mitarbeiter:innen, die in der Buchhandlung mithelfen. Außerdem haben wir im Verlag einen Pool an freie Mitarbeiter:innen, denen wir Aufträge geben.
Was für Bücher verlegt ihr? Sind es nur Bücher auf Farsi oder auch auf Deutsch? Und leben die Autoren und Autorinnen in Deutschland oder in anderen Ländern?
Der Fokus unseres Programms liegt darauf, Tabuthemen für iranische Leser:innen zugänglich zu machen. Mit Tabuthemen meine ich, das Verständnis von Tabu des islamischen Regimes: Das ist zum Beispiel der Roman von Bernhard Schlink Das Wochenende genau so wie die Erlebnisse von Monireh Baradaran im Evin-Gefängnis im Iran – ihr Buch gibt es auch auf Deutsch Erwachen aus dem Albtraum. Dabei leben die Autor:innen oder Übersetzer:innen selten im Iran. Das ist selbst mit einer Veröffentlichung unter einem Pseudonym zu riskant. Auf nur Deutsch verlegen wir bisher nicht. Was aber auch Teil unseres Programmes ist, sind zweisprachige Kinderbücher, diese sind auf Deutsch und Farsi.
Werdet ihr auch im Iran wahrgenommen? Mit welchen Folgen?
Wichtige Frage. Vom iranischen Volk bekommen wir viel Zuspruch. Durch die sozialen Medien erhalten wir täglich Nachfragen und den Wunsch unsere Bücher zu erhalten. Was leider nicht einfach ist. Wir können unsere Bücher nicht per Post in den Iran schicken. Da müssen wir auf den digitalen Weg zugreifen. Dem Regime sind wir natürlich ein Dorn im Auge. Das ist der Grund, warum leider weder meine Familie noch ich jemals in den Iran gereist sind.
Ihr verlegt ja nicht nur Belletristik sondern auch Sachbücher. Um welche Themen geht es dabei?
Richtig, Sachbücher machen im Grunde die Hauptsäule unseres Verlages aus. Eines der neuesten Bücher, das wir herausgebracht haben, ist in zweierlei Hinsicht ein Tabu für das islamische Regime. In Babi und die Frauen arbeitet der Autor Manouchehr Bakhtiary sowohl die Geschichte der Baha’i Religion auf, welche im Iran derzeit verboten ist. Er zeigt auch auf, welche wichtige Vorreiterrolle die Baha’i-Frauen für den Feminismus im Iran gespielt haben und spielen. Das Buch beginnt mit Tahere (geb. 1814 Ghazvin), die unter ihrem religiösen Namen Qurrat al-ʿAin bekannter ist. Sie stammt aus einer strengen muslimischen Familie. 1844 schloss sie sich dem Babismus an, zu dem sie sich insbesondere durch den Gedanken der Gleichberechtigung der Geschlechter hingezogen fühlte. Sie war die erste Frau, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts für die Entschleierung stark gemacht hat, was ein absoluter Tabubruch war. Während einer Konferenz 1848 demonstrierte die Dichterin und Gelehrte die Unabhängigkeit der neuen Religion, indem sie während dieser
Konferenz ohne Verschleierung erschien.
Hat sich euer Programm im Laufe der Jahre verändert und wenn ja, wie?
Nicht wirklich. Leider herrscht seit 44 Jahren das islamische Regime im Iran. Unser Anliegen, den Kampf gegen diese Barbaren durch unsere Publikationen zu unterstützen, bleibt daher unverändert.


Werdet ihr auch von einem deutschen Publikum wahrgenommen? Gerade jetzt?
Ja, definitiv. Wir, d. h. in erster Linie meine Eltern, machen uns durch ihren Verlag seit 25 Jahren stark für einen freien, demokratischen, säkularen Iran. Bisher ging das an der deutschen Öffentlichkeit vorbei. Jetzt werden wir plötzlich wahrgenommen. Vor allem die Medien kommen immer mehr auf uns zu.
Es scheint gerade etwas ruhiger geworden zu sein im Iran. Oder täuscht der Eindruck, weil in den deutschen Medien weniger berichtet wird? Wie schätzt du die Situation im Moment ein?
Tatsächlich glaube ich, dass das mehr die hiesige Wahrnehmung ist. Dort geschieht täglich viel. Die Menschen sehen keine Alternative, entweder sterben sie im Kampf gegen das Regime oder sie vegetieren wegen des Regimes dahin. Es ist ein mutiges Volk, das einen hohen Kampfgeist hat. Sie geben nicht so einfach auf. Ich sehe Videos von Frauen, die gerade erst aus dem Gefängnis entlassen worden sind – von einem Alptraum, bei dem sie gefoltert, vergewaltigt, psychisch missbraucht worden sind. Das erste, was sie tun ist noch vor den Gefängnistoren ihren Schleier
abzunehmen und im Video lauthals „Frau – Leben – Freiheit“ rufen. Dafür können sie sofort wieder verhaftet und sogar hingerichtet werden. Das ist eine feministische Revolution, und meines Erachtens nur eine Frage der Zeit, bis das Volk gegen das Regime endlich siegt.
Herzlichen Dank für diesen spannenden Einblick!