
„Der Körper selbst muss der Thron sein. So! Lehnen Sie sich ein wenig zurück. Ja, genau so. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Diwan. Man muss Lust bekommen, sich auf Sie drauf zu legen …
Die Entstehung des Gemäldes „Adam langweilt sich im Paradies“ nimmt die dänische Autorin Rakel Haslund-Gjerrild als Ausgangspunkt ihres akribisch recherchierten Romans Adam im Paradies, der sich die historische Figur Kristian Zahrtmann einverleibt. Zahrtmann war seinerzeit einer der renommiertesten Maler Dänemarks. Er verschrieb sich kräftigen Farben und der gegenständlichen Historienmalerei, in der er die Figuren in aus heutiger Sicht erstaunlich modernen Posen darstellte. Mit Humor, Begehren und queeren Geschlechteridentitäten spielend stellte er beispielsweise die „Schwedische Königin Christina im Palazzo Corsi“ mit einer Pfeife, einem Buch und einem selbstbewusst spöttischen Gestus umringt von männlichen Figuren dar oder eben einen bildschönen jungen Mann inmitten eines üppigen Gartens mit Bananenstauden und stoischem Blick als „Adam langweilt sich im Paradies“.
Haslund-Gjerrild nimmt für ihren Roman belegte Gegebenheiten, gleicht sie ab mit den emotionsevozierenden Werken Zahrtmanns, erdichtet Szenen, Gedanken und Begegnungen hinzu. Sie verlässt dabei das scheinbar faktische Terrain einer klassischen Biografie und baut eine eigene Geschichte, einen Roman, der verwebt ist mit den Überlieferungen der Zeit in Hinblick auf Queerness und auf die historische Person Zahrtmanns. In der englischsprachigen, französischen und skandinavischen Literatur folgt sie damit einem Trend, der als Exofiktion bekannt ist, der sicherlich schon bald auch die deutschsprachige Literatur erreichen wird. Ist es doch eine folgerichtige Konsequenz der Ausdifferenzierung der Autofiktion auch historische Figuren zu nehmen, dabei faktisches Wissen mit Fiktion zu vermischen.
Adam im Paradies spielt in der prunkvollen Residenz Zahrtmanns in Frederiksberg im Jahr 1913. Das Modell für das Werk „Adam langweilt sich im Paradies“ hat der bereits 70-jährige Künstler auf einer Zugfahrt aufgegabelt. Der junge Mann kehrt ein, Tag für Tag, sitzt dem Zahrtmann Modell, der von dessen betörender Schönheit gefesselt ist. Wir folgen der Begeisterung für diesen Mann, spüren ein starkes Begehren, das sich mit Erinnerungen an andere Begegnungen und Stationen des Lebens von Zahrtmann mischt. Wir lauschen der Erzählstimme des alternden etablierten Künstlers, wie er über Farben erzählt, über seine Werke, Reisen, Schüler, sein Leben und das Altern. Unsere Aufmerksamkeit wird immer wieder darauf gestoßen, was er nicht erzählt.
Haslund-Gjerrild legt Fährten aus im Text. Dies geschieht subtil durch einige Auslassungen oder Ungereimtheiten in der Person des Erzählenden selbst, durch seine Haushälterin, die als alleinerziehende verhinderte Künstlerin dargestellt wird, und durch scheinbar unvermittelte Einschübe von Briefen, Zeitungsartikeln, Gerichtsprotokollen oder Postkarten. Sie brechen die prächtige Zahrtmann’sche Welt und thematisieren die sogenannten Sittlichkeitsprozesse, die Schicksale seiner Zeitgenossen, etwa des Schriftstellers Herman Bang oder des Polizisten und Schriftstellers Carl Albrecht Hansen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden. Auch wenn er von anderen Figuren angesprochen wird, Zahrtmann schweigt sich zu der Verfolgung aus, er schweift in andere Richtungen. Die Einschübe führen vor Augen, was für ein Druck, was für eine Verfolgung auf einer offen gelebten Queerness lasten würden.
Wer war Zahrtmann, dessen Spätwerke nach seinem Ableben viele dänische Schwulenbars zierten? Wie war sein Begehren, wie lebte er es aus oder war sein Weg die Sublimierung in der Kunst? Wie war seine Haltung zu den Sittlichkeitsprozessen und einer gesellschaftlichen Stimmung, die zwischen Offenheit und Verachtung bzw. Verfolgung schwankte? Hatte er Angst? Oder fühlte er sich als etablierter Künstler sicher? Diese Fragen drängen sich auf, eine Antwort formuliert die Autorin jedoch bewusst nicht.
„Der schelmische Meister gibt keine Antwort. Des Rätsels Lösung zu finden, obliegt dem Betrachter selbst. Wer mag, kann es ja versuchen“, zitiert Haslund-Gjerrild einen Kritiker von 1913 zu Zahrtmann. Es wäre für sie ein Leichtes gewesen, erotische Szenen oder nicht belegte Liebesgeschichten zu erdichten. Vielmehr bleibt das Erzählte voller Spannung. Es ist scheinbar offen, vertraulich, ebenso von Zurückhaltung geprägt, und abgesehen von kurzen Berührungen und der Hingabe, mit der Zahrtmann sein Modell Adam betrachtet, gibt sich der Text bedeckt, um seine Kraft zu entfalten.
Es passt sehr gut, dass der 2015 wiederbelebte Berliner Albino Verlag, der sich anspruchsvoller schwuler und queerer Literatur widmet, diesen Roman herausbringt. Mit Andreas Donat haben Verlag und Autorin einen Übersetzer aus dem Dänischen gewählt, der ebenso wie Haslund-Gjerrild viel Recherche, Akribie und Sprachkunst in den Text legt. Adam im Paradies ist ein geschliffenes Werk, das sprachlich und formal vordergründig mühelos, blumig und fließend daherkommt. Eine Schicht darunter sind die intensiven Gedanken zu erspüren, die genaue Arbeit an Form und Sprache, die den Habitus des Künstlers, seiner Zeitgenossen, der spannungsgeladenen, sich gleichzeitig öffnenden und verschließenden Vorkriegszeit spiegeln.
Dank an kata_____lovic
- Rakel Haslund-Gjerrild: Adam im Paradies. Aus dem Dänischen von Andreas Donat. Berlin: Albino Verlag 2022. 330 Seiten, gebunden. 26 Euro.