Felicitas Hoppe: Gedankenspiele über die Sehnsucht (Droschl Verlag)

Foto (c) Thanasis Papazacharias

Das könnte das Wort passend zur Zeit sein: Sehnsucht. Wir sehnen uns gerade nach Frieden und warmen Räumen, nach sicheren und guten Zeiten. In der feinen Reihe „Gedankenspiele über“ des Grazer Literaturverlags Droschl, in der „kluge Köpfe über große Worte“ schreiben, fantasiert Felicitas Hoppe über dieses nie endende Gefühl nach einem anderen, besseren, fernen Leben.

Die kluge und belesene Autorin beginnt mit einer Geschichte des russischen Schriftstellers Daniil Charms. Darin bietet eine große Zauberin einem kleinen Mann an, ihm den sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Er möchte so gerne ein wenig größer sein. Der kleine Mann hat jedoch so große Angst vor der Zauberin, dass er kein Wort über die Lippen bringt und den Moment verstreichen lässt. Die Zauberin verschwindet und „der Mensch von kleinem Wuchs“ beißt sich vor Zorn über sich selbst alle Finger- und Zehennägel ab.
Wenn wir über diese Fabel nachdenken, so Charms, werde uns ganz schlecht – und Felicitas Hoppe fügt in ihrer Interpretation hinzu:

Jeder Märchenleser kann ein Lied davon singen, wie schnell wir uns voreilig beim Wünschen verwünschen und im Licht des Alltags als die Gefoppten dastehen. Menschen von kleinem Wuchs sind wir schließlich alle, auch wenn wir uns gern etwas größer wähnen. Wunsch und Sehnsucht sind allerdings zweierlei; denn der Wunsch bringt lediglich sprachlich zum Ausdruck, was die Sehnsucht selber nicht sagen kann. Und dringt folglich in ihr Zentrum nicht vor.

Außerdem sei „Unstillbarkeit“ sowieso das zentrale Markenzeichen der Sehnsucht. In diesem ebenso schmalen wie assoziationsreichen und zum Weiterdenken anregenden Band verfolgt die Autorin dieses unstillbare Gefühl, in dem sie etwa an Günter de Bruyns unerfüllte Liebe erinnert („Sehnsüchte, die unerfüllt blieben, können langlebig sein“) und an auswechselbare Sehnsuchtslandschaften:

Denn die Sehnsucht ist eine Meisterin im Kulissenschieben und hält uns, egal, wo wir sind, immer wieder in Schach durch ihre perfide Mischung aus Selbstbehauptung und Flüchtigkeit. Wer noch gestern am Meer war, will demnächst in die Berge, tags drauf in die Taiga und schon am dritten Tag in die Wüste oder, am liebsten, wieder nach Haus.

Sie liest Schlagertexte und die Bibel, erinnert sich an die eigene Reisesehnsucht auf einem Containerschiff (aus dem 1999 ihr Roman Pigafetta wurde) und an die blaue Blume der Romantik, d e m Sehnsuchtsemblem schlechthin.
Es geht auch um Tarotkarten und Höhlenmalerei, und es gibt sogar ein tröstliches Ende, denn in der Plattitüde erkennt Felicitas Hoppe die reine Wahrheit: „Nicht die Hoffnung, sondern die Sehnsucht stirbt vermutlich zuletzt.“

Dank an Manuela Reichart (adaptiert für morehotlist, Originalbeitrag auf rbb)

  • Felicitas Hoppe: Gedankenspiele über die Sehnsucht. Graz/Wien: Literaturverlag Droschl 2022. 48 Seiten, gebunden.

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