Beate Kniescheck: Eva & Söhne (Septime Verlag)

Myriams-Fotos

In ihrem autobiografischen Romandebüt Eva & Söhne, diesen Herbst im Septime Verlag erschienen, erzählt Beate Kniescheck die Geschichte einer unsichtbaren Frau und mit ihr die einer Generation von Frauen der Nachkriegszeit, einer Zeit, als „Wahrsagerinnen auf den Kirchentagen nur den Buben die Zukunft aus den Händen lasen, bei den Frauen war diese Zukunft ohnehin nichts als ein Witz“.
Dieses Zitat stammt von Peter Handke aus seiner Erzählung Wunschloses Unglück (1972), an die mich Beate Knieschecks schmaler Roman mit 144 Seiten erinnert. Der Freitod seiner Mutter gab dem damals 30-jährigen Handke den Anlass, ihre Geschichte zu erzählen und durch literarische Aufarbeitung das Leben der Mutter zu „einem Fall“ zu machen.

Auch Beate Kniescheck gelingt es, Privates in etwas Allgemeingültiges zu verwandeln. Ähnlich wie bei Handke werden wir zurückversetzt ins ländlich katholische Österreich der 1950er-Jahre, in eine Zeit, als Verzicht und Selbstaufgabe über das Individuum gestellt wurden. Unterdrückte Emotionen und das Erdulden gehörten zu guten Manieren. Ein Kind stirbt, wird begraben, die „zu lange“ trauernde Mutter von der Dorfgemeinschaft für irre erklärt. Man spricht nicht über den Vorfall, es gilt die Fassung zu bewahren, die lächelnde Fassade aufrechtzuerhalten.

Sie belauschte eine Unterhaltung vor dem Laden. „Komisch war die Anzgruber schon, als sie hergezogen sind“, hörte sie eine Stimme. „Und jetzt sagt sie nichts mehr. Der Anton hat’s schon schwer mit so einer!“

Als ihr Vater verstirbt, findet die Ich-Erzählerin einen Brief mit seinen letzten Worten an ihre Brüder. Einen Brief an sie schrieb er nicht. Sein ganzer Stolz waren seine Söhne, die das Familienunternehmen übernehmen würden. Die zweifache Mutter fühlt sich übergangen, wie auch ihre Großmutter und Mutter zeitlebens übergangen wurden, obwohl beide maßgeblich für den Erfolg des Familienunternehmens verantwortlich waren und gleichzeitig ihren Männern die Rücken freihielten, ohne je Anerkennung dafür zu erwarten.
Selbst der frühe Kindstod der Schwester des Vaters wurde in der Familie totgeschwiegen, man sprach nicht gern über Belastendes. Die Ich-Erzählerin stellt Nachforschungen über das Familiengeheimnis an und identifiziert sich mit ihrer Großmutter Eva, die stark litt unter dem Tod der geliebten Tochter Gabriele und der verdrängten Trauer in der Familie. Auf einer parallelen Erzählebene verleiht die Autorin Eva eine Stimme und entdeckt in ihr eine stille Kämpferin, die sich ihrer Empfindungen nicht berauben ließ und sich mit ihren beschränkten Mitteln in der männerdominierten Welt durchsetzte.

Er (Evas Mann Anton) verstehe Evas Wunsch, in Gabrieles Nähe zu sein, aber eine Bestattung im Garten komme keinesfalls in Frage, zumal der Pfarrer ein Grab außerhalb des Friedhofs nicht weihen dürfe. (…) Das alles tue ihm leid und dem Pfarrer auch, aber sie möge sich damit abfinden. Eva zuckte zusammen, aber erst, als Anton bitte sagte, in einem Ton, der wie ein Befehl klang.

Beate Knieschecks Sprache ist stilistisch schlicht und unsentimental. Mit erzählerischer Distanz lässt sie Evas Kampf zwischen ihrer sozialen Rolle und ihrer inneren Lebenswelt lebendig werden. Auch die Figur ihres Ehemannes Anton empfinde ich als gelungen. Seiner Sozialisierung entsprechend agiert er gefühlskälter und bevormundend, seine Zerrissenheit wird jedoch deutlich, die ihn als Figur authentisch werden lässt. Etwas undifferenzierter erscheinen mir die Figuren der Rahmenhandlung. Der verstorbene Vater der Ich-Erzählerin wirkt als klassisches Familienoberhaupt etwas konturhaft, ich hätte mir eine Annäherung an seine Figur gewünscht.

Eva & Söhne ist eine Würdigung der unsichtbaren Frauen der Vergangenheit, der Bruch mit alten, patriarchalen Lebensmustern, die bis in die heutige Lebenswirklichkeit reichen. Dieses schmale Buch ist eine Emanzipation.

Dank an Nikoletta Kiss

  • Beate Kniescheck: Eva & Söhne. Wien: Septime Verlag 2022. Gebunden, 144 Seiten. 20 Euro

Wir freuen uns über eine Unterstützung unserer Autor:innen!

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s