Hotlist22-Kandidat: Rasha Habbal: Die letzte Frau (Verlagshaus Berlin)

Foto (c) Peggychoucair

Die edition zwanzig des Verlagshauses Berlin ist eigentlich für Lyrikdebüts vorgesehen, wie zuletzt die Bände von Barbara Juch und Alisha Gamish oder von Kevin Junk, dessen Band RE: re: AW: Liebe vor ein paar Wochen erschien. Aber Regeln sind ja bekanntlich dazu da, um sich mit ihnen zumindest ein wenig kreativen Spielraum zu geben. Und so unterbricht Band 3 der Reihe das Konzept insofern, als Rasha Habbal eigentlich keine Debütantin ist, ihr erster Gedichtband erschien 2014. Aber mit Die letzte Frau werden erstmals Gedichte von Habbal auf Deutsch veröffentlicht, also trotzdem auch ein Debüt. Der Band folgt denn auch der Serienästhetik der edition zwanzig, ein fadengeheftetes Chapbook mit vierzig Seiten, allein getragen durch makellose Gestaltung ausschliesslich typografischer Natur.

Übertragen aus dem Arabischen wurden Habbals Gedichte von Anke Bastrop und Filip Kázmierczak. Zwar ist die Rollenverteilung zwischen den beiden nirgends vermerkt, die Lebensläufe legen aber zumindest nahe, dass Kázmierczak Interlinearübersetzungen angefertigt hat, die von Bastrop dann weiter verfeinert wurden. Obwohl die Gedichte zweisprachig abgedruckt sind, muss eine Beurteilung der Übersetzung aufgrund fehlender Arabischkenntnisse ausbleiben, einzig auffällig ist, dass sich Bastrop und Kázmierczak bei den Zeilenumbrüchen Freiheiten gelassen haben und die Gedichte im Deutschen oft mit weniger Zeilen auskommen als im Original. Lobend erwähnt werden soll hier aber auch die gelungene typografische Paarung der beiden Sprachen und Schriftsysteme.

Durch die Zweisprachigkeit halbiert sich die Anzahl abgedruckter Gedichte, es sind genau vierzehn. Der Band bietet also einen fokussierten und zwangsläufig beschränkten Blick auf das lyrische Schaffen Habbals. Genau in der Mitte des Bandes, das ist erwähnenswert, weil Original und Übersetzung durch den Faden der Heftung getrennt werden, findet sich ein Gedicht, das sinnbildlich für die vierzehn Gedichte des Bandes steht:

Deine Fingerspitzen
streichen hinter meinem Ohr entlang
wecken mich.
Deine Lippen
streifen über meine Lider
lassen die Schwärze in mir schlafen.
Wie geht es deiner Stadt?
Du malst eine afrikanische Sonne
auf meinen Bauch.
Ich halte meine Augen geschlossen.
Es ist so heiß
dass mein Rücken zu schmelzen beginnt.
In meinem Bauch
wachsen der Sonne Triebe.
In deiner Stadt spricht man
von einem Dieb:
Er soll einen Apfel geklaut
in den Bauch seiner Liebsten gepflanzt haben.

Das Gedicht vereint alle Qualitäten der Lyrik Habbals. Es ist eine zärtliche, intime Begegnung zweier Liebender im vertrauten Zwiegespräch. Die einfachen Gesten und Berührungen gehören zum Spiel der beiden, werden aber schnell erotisch aufgeladen, bis zum Schluss der sinnbildliche Apfel zumindest andeutungsweise gepflanzt wird. Trotz der spielerischen Sinnlichkeit ist das Glück immer bedroht, das Scheitern (oder Schlimmeres) wartet geduldsam unter der Oberfläche. Hier als durch Lippen zum Schlafen gebrachte Schwärze, der Ausbruch ein zu lautes Geräusch nur entfernt. Auch der Apfel, eigentlich ein Symbol des Glücks, trägt zumindest Missgunst mit, war er doch nur (dem Sagen nach) widerwillig – durch Diebstahl – zu bekommen.
Die Gedichte von Habbal schwanken beständig zwischen zwei Polen, zwischen immanenter Dunkelheit und ebensolcher Erotik. Die Körpermitte entpuppt sich als aufgeladener Metaphernraum, der mal der einen, mal der anderen Seite mehr Gewicht einräumt. Die damit erzielte Körperlichkeit der Gedichte wirkt mitreissend, die vordergründig schlichte Sprache, gepaart mit klassischen Sprachbildern, erzielt ihre Wirkung durch das ständige Ausloten der Pole gegeneinander.
In ihrer Konsequenz sind die hier vorgestellten Gedichte von Rasha Habbal erstaunlich leise. Ihre Verve beziehen sie nicht aus den lauten Tönen, sondern aus dem an die Wand geworfenen Schatten der Lamellenstores, der für alle gut sichtbar ist, seine bedrohliche Wirkung aber nur selten offenbart. Wenn er dies aber tut, dann jedoch umso eindringlicher.

Dank an Nick Lüthi

  • Rasha Habbal: Die letzte Frau. Gedichte. Verlagshaus Berlin 2022. Aus dem Arabischen von Anke Bastrop und Filip Kaźmierczak. 40 Seiten, Chapbook. 9,90 Euro.

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