
Ivan Lendl ist tot, also nicht der Tennisstar, sondern der ehemalige Zivildiener (Zivildienstleistender), der eigentlich Peter heißt – erschlagen von einem Ofen, der von der Ladefläche eines LKWs gefallen ist. Und da Ivan nicht versichert war, schaufelt nun Pich, der eigentlich auch anders heißt, sein Grab. Es ist das namensgebende Grab in Das Grab von Ivan Lendl, dem dritten Roman des österreichischen Schriftstellers und Wissenschaftlers Paul Ferstl, erschienen im Milena Verlag.
„Na gut. Es ist halt ein Problem. Die Rumänen werden ihn nicht wollen, und wir können ihn nicht wollen. Das Budget haben wir nicht. Und er war keiner von uns. Nicht mehr.“
„Wir müssen ihn doch eh nur begraben?“
„Du bist ein Bub, Pich. Sterben kostet.“
Neben Pich, der sich für den Auslandseinsatz als Zivildiener gemeldet hat, um dem engen Elternhaus in Österreich zu entkommen, gibt es noch weitere Ausländer, die in der rumänischen Provinz als Bauhelfer, Hilfskräfte im Altenheim oder was auch immer arbeiten. Die einen, um dem Wehrdienst zu entgehen (der in Österreich immer noch Pflicht ist) und wie Pich dem vorprogrammierten Leben zu Hause, die anderen, um sich später mit ihrem sozialen Engagement zu brüsten und berufliche Vorteile zu erhalten.
Und so kommt eine bunte Truppe zusammen, um in einem Überschwemmungsgebiet neue Hütten für die rumänische Bevölkerung aufzubauen: Pich, der als gelernter Tischler wenigstens vom Fach ist. Keanu Reeves, der eigentlich auch anders heißt, aber so gut aussieht wie der Schauspieler und eigentlich jedes Mädchen haben könnte, das aber gar nicht weiß, weil er zu schüchtern ist. Ein deutscher Ingenieur und sein Sohn, die irgendwie soziales Engagement zeigen möchten. Und Berger, der Chef, der eigentlich alles koordinieren soll, was so mehr oder weniger gelingt.
Zur Beerdigung von Ivan reist auch seine Schwester Ivanka an, die eigentlich Martina heißt. Da sie wissen möchte, wie es zu dem tödlichen Unfall kam, was ihr Bruder nach dem Ende seiner Zivildienerzeit immer noch in Rumänien getan hat, macht sie sich gemeinsam mit Pich auf Spurensuche.
Und so reisen wir mit ihnen durch das Leben der Zivildiener, durch das ferne Rumänien, sogar kurz nach Odessa. Durch die Landschaften, durch die Leben der einheimischen Bevölkerung, die kurzen Begegnungen zweier Welten, die zwar ab und an gemeinsam arbeiten, gemeinsam feiern, aber doch für sich bleiben in unterschiedlichen Sphären.
Peter Ferstl wechselt in seinem Roman dabei immer wieder von der Zeit nach dem Tod Ivans in die Zeit der Monate und Jahre davor. Schilderungen der Monotonie des Arbeitseinsatzes, der immer gleiche Tagesablauf, das immer gleiche Essen (Zacusca und Zwiebeln), das allabendliche Betrinken mit Bier aus PET-Flaschen und Unmengen von Schnaps, im Sommer kalt, im Winter erwärmt. Dann die gemeinsame Zeit von Ivanka und Pich, das langsame Annähern der beiden, auch das Annähern an Ivan, seine Vergangenheit, die eigene Vergangenheit.
Die Sprache des Romans ist leichthändig, gespickt mit ironischen Untertönen in den Dialogen, die häufig etwas Flapsiges haben, selbst in den schwersten Situationen oberflächlich bleiben und ihre tiefere Bedeutung erst nach und nach offenbaren.
Die vielen Autofahrten, Ausflüge, immer neue Projekte der Protagonisten erscheinen ziellos, alle sind irgendwie auf der Suche nach irgendetwas, scheinbar, ohne zu wissen nach was. Und auch das spiegelt die Sprache aufs Trefflichste.
Sie legten die nächsten Kurven in Schweigen zurück, und Pich verlor die Straße unter den Füßen, hatte das Gefühl, langsam um das Lenkrad zu kreisen, die Nacht schluckte die gesamte Umgebung, und er nahm nicht mehr war als das Licht der Scheinwerfer, die weit vorausgriffen, er lief den Lichtkegeln nach, weiter und weiter …
Ganz langsam nähern wir uns im Verlauf des Romans den Protagonisten, erfahren immer mehr Details über sie, über die Gruppe, über das Mit- und auch Gegeneinander und allmählich kommen Zweifel am Unfallhergang auf, blättert die Fassade, das Übertünchte.
Die häufigen Wechsel der zeitlichen Ebenen ebenso wie die zumindest für deutsche Leser*innen ungewohnten umgangssprachlich-österreichischen Dialoge benötigen eine gewisse Aufmerksamkeit, aber gerade sie bergen eine Authentizität, die das Gelesene so viel intensiver macht, als wenn sie auf Hochdeutsch wären, und geben dem Buch eine Stimmigkeit, die das Leseerlebnis sehr bereichert.
Dank an Anke Schmeier
- Paul Ferstl: Das Grab von Ivan Lendl. Wien: Milena Verlag 2022. 294 Seiten, Hardcover. 24 Euro