
Wenn es um eine der ersten bekannten freien Autorinnen Großbritanniens geht, dann lohnt sich ein Blick in Virginia Woolfs Ein eigenes Zimmer von 1928. Damit folgen wir auch den Spuren des Herausgebers Tobias Schwartz. Er erzählte bei einer Veranstaltung des Literaturhauses Berlin (und in seiner Danksagung), dass er über diesen Essay auf die in Deutschland unbekannte und in Großbritannien wiederentdeckte Autorin aus dem 17. Jahrhundert gestoßen war, die wiederum zu den vorliegenden Werkauswahl im AvivA Verlag geführt hatte.
Woolf widmet ihren literarischen Vorgängerinnen darin ein eigenes Kapitel. Die Autorin Aphra Behn (1640–1689) würdigt sie in ganz besonderer Weise. Sie hebt hervor, dass sie als Frau im 17. Jahrhundert durch besondere Umstände „gezwungen war, ihren Lebensunterhalt mit ihrem Verstand zu verdienen“. Dank Behn sei das Schreiben für eine Frau realistisch und ernsthaft geworden. Ihre Bedeutung für die weibliche Autorschaft sei so groß gewesen, dass „alle Frauen zusammen“, so Woolf, „Blumen auf das Grab von Aphra Behn fallen lassen sollten.“ Tatsächlich ist sie im Kreuzgang von Westminster Abbey beigesetzt worden. Der Grabstein trägt die Inschrift „Here lies a Proof that Wit can never be Defence enough against Mortality“ (Hier liegt ein Beweis dafür, dass selbst Geist und Witz nie genug Schutz gegen die Sterblichkeit bieten).
Diese Ehre wurde William Shakespeare nicht zuteil. Er erhielt erst 124 Jahre später eine Statue im Poet’s Corner. Doch Aphra Behns Theaterstücke, Romane, Erzählungen und ihre Lyrik gerieten im Laufe des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit. Man könnte aber auch sagen, dass ihre bissigen und freizügigen Stücke nicht mehr ankamen. Die frivolen Werke gerieten aus der Mode, die berühmt-berüchtigte Prüderie des Viktorianischen Zeitalters verlangte nach einem anderen Frauenbild. Vor allem sollte sich eine Schriftstellerin, wenn überhaupt, anders benehmen. Während Aphra Behn unter ihrem eigenen Namen veröffentlichen konnte, mussten die Brontë-Schwestern zweihundert Jahre später ein männliches Pseudonym wählen, um überhaupt veröffentlichen zu können (Als Autor von Jane Eyre etwa wurde damals ein gewisser Currer Bell genannt anstatt Charlotte Brontë).
Woolf sorgte dafür, dass Behn nicht nur in Großbritannien wieder bekannt wurde. Warum das so war und welche Art Literatur Aphra Behn verwendete, beschreibt Herausgeber Tobias Schwartz sehr eindrücklich und lebendig. Es ist mutig, eine heute unbekannte Autorin aus dem 17. Jahrhundert neu zu übersetzen und zu veröffentlichen. Der AvivA Verlag packt gleich mehrere ihrer Werke in eine zweibändige Hardcover-Ausgabe mit Schuber und Lesebändchen. Band 1 mit dem wichtigen Roman Oroonoko und weiteren Erzählungen erscheint darüber hinaus bei culturbooks als E-Book. Der Sklavenroman Oroonoko gilt als Klassiker der Frühen Neuzeit, der die Ära des realistischen Romans in der englischsprachigen Literatur einläutete (vor Daniel Defoes Robinson Crusoe). Es ist der erste Roman in der europäischen Literaturtradition, der eine Person of Color als Protagonisten hat.
Überhaupt müssen hier der AvivA Verlag, der in diesem Jahr sein 25. Verlagsjubiläum feiert, und die Verlegerin Britta Jürgs besonders hervorgehoben werden, die immer wieder erstklassige Autorinnen in wunderschön gestalteten Büchern veröffentlichen. Auch Tobias Schwartz ist kein Unbekannter. Für A Taste of Honey mit von ihm übersetzten Erzählungen und Stücken von Shelagh Delaneys stand der Autor, Übersetzer und Dramatiker (u. a. Volksbühne und Maxim Gorki Theater in Berlin) bereits auf der Hotlist 2020.
So erhält man nicht nur sehr gut lesbare Werke von Behn, sondern auch eine Einleitung, die Lust macht, in die Schäferlyrik, Dramen von Herrschern des Mondes und Freibeutern und Figuren mit Namen wie Astrea, Miranda und Imoinda einzutauchen. Dazu gibt es übersichtliche Anmerkungen, die auf Anspielungen und historische Gegebenheiten aufmerksam machen.
Eines der Markenzeichen von Behn ist die (scheinbare) Erinnerung an geschilderte Erlebnisse und das Erzeugen einer Unmittelbarkeit (wie in Briefromanen). „Ich will nicht so tun, als wollte ich Sie, werte Leserin, werter Leser, mit den Abenteuern eines erfundenen Helden unterhalten“, so beginnt der erste Satz von Oroonoko. Für unsere heutige Zeit ist auch interessant, dass Behn etwa in ihren Dramen und Gedichten bei der Ich-Person mit den Geschlechtszuschreibungen spielt und damit auf Problematiken hinweist, die sich damals wie heute daraus ergeben. Am deutlichsten kann das an dem Titel des folgenden Gedichts gezeigt werden: „An die schöne Clarinda, die mit mir schlief, imaginiert als mehr denn eine Frau.“
So reicht uns die Autorin über dreihundert Jahre hinweg unerwartet die Hand und zeigt uns, dass Emanzipation und Fortschritt in der Geschichte keine geraden, aufwärtsführenden Linien sind, sondern immer wieder neu errungen werden können und müssen. Sie lebte in politisch unruhigen Zeiten: Der englische König Charles I. wurde geköpft, das Land befand sich in einem Bürgerkrieg und Oliver Cromwell installierte letztlich eine Militärdiktatur, bevor Charles II. 1660 die Epoche der Stuart-Restauration einläutete, was enorme Auswirkungen auf die Gesellschaft hatte. Von dem davor herrschenden puritanischen Tanz- und Theaterverbot schwang das Pendel zu freizügigen Komödien und einer „lockeren Moral“. Opulenz und Spektakel lagen im Trend. Erstmals durften Frauen als Schauspielerinnen in Theatern auftreten und John Lockes Abhandlungen über die Regierung wurden diskutiert wie auch die ersten Werke zur Literaturkritik. Samuel Pepys beschrieb diese Zeit in seinen Tagebüchern. Aphra Behn spiegelt sie in ihren Werken wider.
Dank an Kathrin Schwarz von We read Indie
- Aphra Behn: Werke. Band 1 und 2. Herausgegeben, aus dem Englischen übersetzt und mit einem Vorwort v. Tobias Schwartz. Berlin: AvivA Verlag 2021. Zwei Bände im Schuber, 620 Seiten, Hardcover mit Leseband. 49 Euro