
In Schweins Wohnung ist es still, als hätte es geschneit. Vom Bett aus sieht Schwein zum Fenster. Dem Himmel ist heute keine Farbe gelungen.
Schwein ist gerade verlassen worden und schwebt in Sehnsucht und Melancholie. Biber ist weggegangen und möchte Schwein nicht mehr, Schweins Herz kann es noch nicht verstehen. Schweins Freund:in Reh geht auch durch bescheidene Zeiten. Reh arbeitet viel und kümmert sich um die kranke bedürftige Mutter. Eine innige Nacht mit Hirsch beflügelt Reh kurz, doch Hirsch mag sich nicht mit Reh verbinden. Reh und Schwein haben Kummer.
In einer anderen Welt sitzt Gott in seiner Wohnung. Er bläst Trübsal, findet keinen Sinn in seiner Existenz. Die Begegnungen mit anderen Göttern sind schal, er spielt mit dem Gedanken auszuwandern, doch wohin?
Es würfelt sich etwas zusammen. Dachs findet einen Apparat, mit dem Dachs durch die Welten reisen kann. Dachs landet in Gottes Wohnung, übernachtet dort, kocht Tee, schließt Freundschaft mit dieser melancholischen Figur.
Schwein gewinnt eine Reise in die Wüste. Bei der erfolglosen Suche nach Begleitung trifft Schwein auf Dachs. Sie reisen zu Gott und machen sich auf in die nächste Welt, das Jenseits. Schwein liebt es dort, tanzt, begehrt Wüstenfuchs. Doch Gott geht unter, Reh kündigt den Job, möchte nachkommen und dem Apparat ist der Filter abhandengekommen.
Noemi Somalvico erzählt in ihrem Debütroman Ist hier das Jenseits, fragt das Schwein, erschienen im Berliner Verlag Voland & Quist eine wärmende innovative Geschichte. Die vermenschlichten Tierfiguren und die Kürze der Geschichte erinnern an eine Fabel, wie wir sie heute nurmehr aus Kinderbüchern kennen. Auch sprachlich erinnert dieser fabelhafte Kurzroman an ein Kinderbuch. Die Sätze sind knapp, die Sprachbilder poetisch. Sie lassen unserer Imagination viel Raum. Die Botschaft und die Ebenen der Geschichte bleiben in der Schwebe, Zwischenräume werden bewusst aufgesucht, nichts ist auserzählt.
Janoschs Geschichten vom kleinen Tiger und kleinen Bär rufen sich in Erinnerung, eine ähnliche Melancholie, eine ähnliche Tiefe der Figuren. Doch der Fokus von Somalvico ist „erwachsener“, denn es geht neben dem Motiv der Freundschaft um Begehren, Liebe und Liebeskummer, Nähe und Distanz, um den Sinn und Unsinn des Lebens.
Fast beiläufig spielt der Roman mit Geschlechtsstereotypen. Schwein und Reh wirken weiblich, Biber, Hirsch und Dachs männlich. Doch es wird kein Geschlecht genannt, auch Pronomen tauchen so gut wie nicht auf. Die Charaktere heißen einfach Schwein, Reh, Dachs, Gott, Hirsch, Biber, Wüstenfuchs. So werden wir angeregt, unsere inneren Bilder von weiblich und männlich zu hinterfragen, und zugleich erfassen wir die Botschaft, dass die Kategorie Geschlecht nicht wichtig ist in dieser Geschichte.
Es ist spannend, wie viel Effekt die kleine Verfremdung hat, menschliche Attribute anhand von Tierfiguren zu erzählen. Würden wir sie vollständig vermenschlichen, sie etwa Kim, Sascha, Alex, Maxi nennen, sie würden verflachen, ihren Zauber verlieren.
Hirsch hat einen Huf auf Rehs Rücken gelegt. Reh hat Hirschs Schulter mit den Lippen berührt (…) Sie haben sich geküsst und die Kleider vom Bett gestoßen. Das Bild vom Meer blieb ruhig an der Wand.
Somalvico gelingt es so, mit wenigen Worten und in fein beobachteten Szenen unsere Emotionen anzustoßen. Sie schildert vermeintliche Kleinigkeiten und lässt uns genug Raum, die Geschichte zu entblättern. Sogar erotische Tierszenen sind anrührend und kein bisschen peinlich.
Schwein wühlt sich zurück in das verknitterte Laken. Es weiß, es muss aufhören, auf Biber zu warten. Und es zieht die Beine an die Brust. Es weiß, es muss andere Träume haben, neue.
Ist hier das Jenseits, fragt das Schwein ist ein formal aufregender Roman, der gleichsam berührend, tröstend hoffnungsvoll und märchenhaft ist.
Dank an @kata_____lovic
- Noemi Somalvico: Ist hier das Jenseits, fragt das Schwein. Berlin: Voland & Quist 2022. 144 Seiten, gebunden. 18 Euro.
Wir freuen uns über eine Unterstützung unserer Autor:innen!