
Bilder, bewegte Bilder, ein Bilderrausch, eine Überflutung, das Bild als Wunderwerk, das ein Ich mit der Welt verbindet und die Welt mit dem Ich gleichsetzen kann – oder: das Theaterstück Ich, Wunderwerk und how much I love disturbing content von Amanda Lasker-Berlin, das 2021 im Frankfurter Verlag der Autoren erschienen ist und für das die Autorin zu Recht mehrfach prämiert wurde.
Im Stücktext, der ohne Regieanweisungen auskommt, begegnen wir einer verstörenden Gegenwart, die in eine ebensolche Vergangenheit greift, in vier Perspektiven erzählt, vier Stimmen sind es, vier Aspekte einer jungen Frau, die sich mit den medialen Bildern, denen sie sich stellen muss und auch will, hyperrealistisch auseinandersetzt. Bewegte Bilder der Gewalterfahrung sind es, die das jeweilige Ich durch die exakte Beschreibung in den Prozess einer Transformation bringt, die die Lesenden in eine Anteilnahme zwingt, in eine Positionierung zum Gesagten respektive Dargestellten. Die Rollen, die diesen morphing-Prozess in Gang setzen, sind „Ich, die nichts anderes mag als flimmernde Bildschirme“ – in dieser Rolle wird die Abhängigkeit zu den bewegten Bildern thematisiert und die Frage gestellt, ob es ein Ich ohne diese Bilder überhaupt gäbe –, dann „Ich, die einsam ist in Gladbeck-Rentfort“ – eine Perspektive, die sich auf die Suche nach Bildern begibt, sozusagen nach ihrem Ursprung –, weiters „Ich, an Weihnachten 96“ – eine Familienbetrachtung anhand eines Videos, das Minuten der Weihnachtsfeier zeigt – und zuletzt „Ich, die liebt auf einmal“, was auch bedeuten könnte: ich, die erkannt habe, die ich mich durchschaut habe.
Das Thema Gewalt – oder besser gesagt Transgression – zieht sich durch alle Perspektiven, mal offensichtlicher, wenn von den flimmernden Bildschirmen die stattfindende Gewalt in die Sprache übernommen wird, mal leiser. Dann ist es ein stilles Grauen, das aus den Beschreibungen dringt. Das Grauen, sobald es spürbar ist, eiskalt im Nacken, stellt die Welt, wie sie ist, in Frage und das Ungesagte im Dazwischen als Monströses in den Raum. Nicht nur könnte das Grauen als Ungeheuer der Gegenwart auf den Zuschauer verstörend wirken, es tut es auch. Die Verstörung, die das jeweilige Ich empfindet, bezieht das Publikum mit ein. Wir alle wollen und brauchen diese Bilder, das von Gewalt Bewegte als Rechtfertigung für unser Tun und damit das Selbst seinen Wert behalten kann. Wir messen und laben uns am Gesehenen; das Bild setzt uns in Verbindung zum Gezeigten, das Gezeigte fordert und überfordert uns.
Und wir
Sehen dich,
Dein Gesicht und deinen Oberkörper.
Und wir sehen
Die Polizisten, der eine, wie er dasteht und der andre, wie er auf dir kniet.
…
Und wir sagen:
Nichts.
Und wir hören,
Wie du sagst:
I can’t breathe, please get up, please.
…
Und wir sind da.
Und ich schalte den Ton aus
Und das Video geht weiter,
Bis es ausfadet in weiß.
Und ich bin allein.
In Ich, Wunderwerk und how much I love disturbing content führt uns Amanda Lasker-Berlin in die Mitschuld und in die Mitverantwortung, ohne belehrend zu sein. Der Text ist viel zu klug dafür. Sie will, so scheint es, dass wir hinter die Bilder blicken, dass wir uns selbst ein Bild machen, so wie sie es tut, so wie sie nach Wirkung und nach Wahrheit fragt, letztendlich, ob man sich auf das gesehene Bild auch verlassen kann. Hat man zu schnell hingesehen? Hat man etwas übersehen? Hat man sich vom Ausschnitt zur Annahme einer Ganzheit hin verleiten lassen?
In „Ich, an Weihnachten 96“ spinnt sie die Frage nach der Unzuverlässigkeit der Bilder sogar noch weiter, indem sie Echtes in Frage stellt und das Echte – der Vater filmt sie als Kind und auch den Großvater, wie er das Kind berührt – als Falsches enttarnen will. Emotional und forsch geht sie mit dem Abgefilmten und den darin handelnden Figuren ins Gericht, nimmt in ihren Worten eine nahe Zukunft vorweg, die das Video zwar aufgezeichnet hat, die aber nicht mehr beschrieben wird:
Mir ist schlecht. Weil ich auf einmal weiß:
So geht das Video weiter.
Weil ich weiß:
Da kommt jetzt eine Sequenz, für die habe ich keine Worte.
Im schwankenden Ausschnitt des Homevideos wartet Gewalt auf uns, bleibt jedoch in der Abwehrhaltung der Figur und im geschickten Narrativ der Autorin eine Ahnung.
Bei all dem stillen Grauen, dessen stille Betrachter wir sind, ist es doch kein dunkler Text, dem wir gebannt folgen. Mit Witz und Leichtigkeit erzählt Lasker-Berlin die Absurdität des Seins, das sich in der Bestandsaufnahme der Welt ein wenig windet. Witzig auch, weil immer wieder die Warnung vor verstörenden Inhalten in den Text gesetzt ist, vielleicht auch als Warnung der Autorin selbst an ihr Publikum, sich aus der Empfindungsstarre zu bewegen. Die Figuren an die Hand zu nehmen und sich mit ihnen in Bewegung zu setzen, im Spotten als Selbstkritik und als Zurechtkommen im Jetzt, das die Figuren (die Figur) genauso auszeichnet wie, dass manches, das sich im Blickfeld zeigt, einfach auf die leichte Schulter genommen werden muss:
„Das unabgerissene Hochhaus. Wartet aufs Einstürzen schon seit Jahren. Wartet darauf zusammenzufallen. Und ganz Gladbeck wartet auf einen Schutthaufen, der abgetragen wird, Schritt für Schritt und darauf, dass es weg ist, das Hochhaus, für immer“, schreibt sie in „Ich, die einsam ist in Gladbeck-Rentfort“, und ein paar Zeilen weiter: „In der Apotheke habe ich mein erstes Antidepressivum gekauft und die ersten Kondome. Das hat ja nicht selten was miteinander zu tun.“
Das Eigene der Figur verbindet sich in dieser Perspektive mit den Geschehnissen des Geiseldramas, das in Gladbeck stattgefunden hat, verbindet dann weiter die Frage nach der Mitverantwortung der Journalisten, die mit den Geiselnehmern im Gespräch waren.
Die Brisanz dieser Verbindung verdeutlicht die Autorin, wenn sie in „Ich, die liebt auf einmal“ aus dem Pressekodex zitiert, zum Beispiel: „Unangemessen sensationell ist eine Darstellung, wenn in der Berichterstattung der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, herabgewürdigt wird.“ Hier entblößt Amanda Lasker-Berlin die Gegenwart, uns alle, hier – in dieser Schlüsselszene – werden die vier Stimmen eins. Hier beginnt die Forderung, in einen Widerstand zu gehen.
Viele Themen der Gegenwart finden sich in diesem Stück, nein, nicht zu viele, denn Lasker-Berlin versteht es gekonnt, sie miteinander zu verweben und ihnen im Tarnmantel der Beiläufigkeit Bedeutung zu geben. Und einen Nachhall, der lange weiterklingt. Nicht zuletzt wegen des Themas der Aneignung, das das Zerbrochene der Generation offenbart, die sich schamlos und ohne nachzudenken an den Bildern bedient.
„Ich, die liebt auf einmal“ stellt sich der Frage, inwieweit man die erlebten Geschichten anderer zu den eigenen machen kann, das Wort Einverleibung steht im Raum – ein höchst interessanter Aspekt im Schreiben und in vielen anderen Kunstformen selbst:
Und ich finde: Ich muss dich fragen, weil ich eine Geschichte benutze und Bilder und Beschreibungen, die nicht meine sind.
Ich bin total übergriffig, indem ich das schreibe.
Und ich bin scheinheilig, indem ich das zugebe.
Ich, Wunderwerk und how much I love disturbing content ist ein vielschichtiger Text, ja, auch ein zutiefst bewegender und verstörender. Eine Herausforderung. Er besticht durch seine Ehrlichkeit und Radikalität, seine Interpretationsmöglichkeiten und durch das, was man noch alles über ihn sagen könnte. Letztendlich dadurch, wie die Amanda Lasker-Berlin mit den Bildern hantiert: die fiebrige und unerbittliche Beschreibung einer Bildüberflutung, die einen staunen und erkennen lässt, das Jetzt, das Mögliche, und die im Hauch einer Utopie sogar ein wenig Hoffnung spricht:

Dank an Isabella Feimer (Text + Foto)
- Amanda Lasker-Berlin: Ich, Wunderwerk und how much I love disturbing content. Frankfurt: Verlag der Autoren 2021. 80 Seiten. 10 Euro
