Hotlist22-Kandidat: Paul Bowles: The Garden (bilgerverlag)

Es gibt schöne Bücher, es gibt besondere Bücher. The Garden von Paul Bowles, eine Dokumentation über die Entstehung und Uraufführung des gleichnamigen Bühnenstücks, 2022 im Zürcher bilgerverlag erschienen, ist beides. Ein Geschenk ist dieser Band, den Florian Vetsch herausgegeben und übersetzt hat und der in der Zeit zurück und in die Welt des US-amerikanischen Schriftstellers und Komponisten Paul Bowles (1910–1999) führt. Aufwendig, modern und doch stets seinem Ursprungsmaterial treubleibend von Dario Benassa gestaltet zeigt sich The Garden als Bild- und Texterlebnis, in dem man gerne und wiederholt blättert, um stets neue Details zu entdecken. In chronologischer Anordnung finden sich Originaltexte, Briefe, Textbeiträge und Tagebucheinträge, Bühnenskizzen, Kostüm- und Plakatentwürfe, zahlreiche Fotos sowie ein Interview mit Bowles und ein spannendes Nachwort, verfasst von Florian Vetsch.

Das Bühnenstück, das im Zentrum des Bandes steht, sowohl in der Originalfassung als auch in deutscher Übersetzung, wurde Ende April 1967 im Palais du Marshan in Tanger, Marokko – Bowles Wahlheimat – uraufgeführt und basiert auf einer Kurzgeschichte des Autors, die 1964 im Magazin Art and Literature erstmals publiziert wurde und die den Ausgangspunkt zur weiteren Beschäftigung mit der Entstehung des Stücks markiert.

Die Geschichte spielt in der Sahara und folgt einem Mann, der von seiner Frau vergiftet wird, weil diese seine Liebe zu seinem Garten nicht versteht und vermutet, er habe einen Schatz darin versteckt. Das Gift lässt den Mann allmählich sein Gedächtnis und seinen Zugang zur Realität verlieren. Die Handlung spitzt sich zu und endet damit, dass die Dorfbewohner den Mann steinigen.

Bowles selbst hat die Geschichte als Parabel bezeichnet, die die Vergänglichkeit der Schönheit – nichts als Wüste bleibt, nachdem der Mann gestorben ist – und das Scheitern des ästhetischen Menschen zeigt, das Scheitern des Künstlers an der Utopie, an die er sich klammern will, wie folgender Ausschnitt aus einem Interview von 1998 erzählt, das ebenso in dem Band zu finden ist:

Einer der spannendsten und außergewöhnlichsten Aspekte des Bandes ist tatsächlich die Art und Weise, wie das Stück entstanden ist. In der akribischen Dokumentation dieses Prozesses erfahren wir, dass Joseph McPhillips, der Rektor der Amerikanischen Schule von Tanger, der auch die Theatergesellschaft der Schule leitete, Bowles die Idee unterbreitete, seine Geschichte zu dramatisieren. Bowles, der sich zu dieser Zeit in Thailand befand, lehnte zunächst ab, begann aber gleichzeitig an dieser Idee zu arbeiten.

Man kann sagen, dass das Stück in den Briefen entstand, die sich Bowles und McPhillips in einem Zeitraum von ein paar Monaten schrieben. Über Ozeane hinweg, in andere Länder. Und aufregend ist es, den Wegen dieser Briefe und dem Arbeitsprozess beider Künstler in ihnen zu folgen. Auch einer Freundschaft, die in den Zeilen schwingt.

Überhaupt ist The Garden mehr als nur das Dokument einer Entstehungsgeschichte. Viele Geschichten lassen sich in diesem Buch entdecken, Geschichten über die Zeit an sich, zum Beispiel, wie herausfordernd sich das Reisen gestaltete oder wie die Atmosphäre Marokkos war, und ihrer Protagonisten. Versatzstücke, die in den einzelnen Textbeiträgen zu finden sind, geben Einblick in das Leben Bowles und gestatten intime Blicke und eigene Vernetzungen. Vieles, das angesprochen wird, etwa die tragische Lebensgeschichte von Bowles’ Ehefrau Jane möchte man auch im Anschluss an die Lektüre intensiver recherchieren.

Ich würde nicht so bald aufbrechen, hätte ich nicht einen Brief von Janes Ärztin in Tanger erhalten, in dem sie mir mitteilt, dass es Janes überhaupt nicht gut geht, weder körperlich noch seelisch, und fragt, wann ich vorhätte, wiederzukommen (…) Ich habe seit vielen Wochen nichts von Jane gehört und bringe sie nicht dazu, meine Briefe zu beatworten.

Und dann ist da noch die Aktualität, die in den Seiten spürbar ist und auch in seiner Aufmachung durchschimmert. Aufarbeitung und Dokumentation wollen die Zeit festhalten und Einblick in eine Identität geben. Das schöne und besondere Buch The Garden zeigt seine Aktualität im Wunsch nach Akzeptanz, gleichzeitig in einer Bestandsaufnahme von Flüchtigkeit.

Dank an Isabella Feimer (Text und Fotos)

  • Paul Bowles: The Garden/Der Garten. Herausgegeben von Florian Vetsch. Zürich: bilgerverlag 2022. 184 Seiten, gebunden, farbig illustriert. 50 Euro

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