
In diesem wunderschön gestalteten Band beschreibt die Historikerin Caroline Arni zwölf Geschichten von Frauen der Schweizer Geschichte. Er ist im Basler Echtzeit Verlag erschienen, der von sich sagt: „… wir bei Echtzeit legen Wert auf Stil und Form, sind verspielt, engagiert und einzigartig, wie echte Charakterköpfe nun mal sind.“
Durchdrungen ist Arnis Werk, das von Karoline Schreiber liebevoll illustriert wurde, nicht nur von einem eloquenten und oft originellen Erzählton, der ein jedes Porträt zu einem wertvollen Kleinod werden lässt. Auch der Ansatz der Women’s History ist spürbar, wie die Autorin im Nachwort selbst betont:
Frauengeschichte ist nicht einfach die Geschichte von Frauen. Sie ist vielmehr, wie es die Historikerin Gerda Lerner formuliert hat, ‚die ganze Geschichte‘. Nicht, weil sie komplett machen würde, was sonst halb wäre.(…) Frauengeschichte ist insofern die ganze Geschichte, als sie ein Beobachtungsposten ist, von dem aus sich mehr sehen lässt – und zwar nicht obschon, sondern weil den Frauen über Jahrhunderte hinweg der Ort des Besonderen (nicht des Allgemeinen), des Nebensächlichen (nicht des Hauptsächlichen), des Partikularen (nicht des Universalen) zugewiesen worden war.
Doch wer sind nun die zwölf Frauen, die hier beschrieben werden gleich zwölf Apostelinnen des Besonderen, Nebensächlichen und Partikularen? Die Autorin beginnt den Reigen mit der Geschichte ihrer Großmutter, die „eine wie andere und so wie keine“ gewesen ist. Darauf folgen poetische Porträts von bekannten und weniger bekannten Frauen aus der Zeit der Reformation bis ins 20. Jahrhundert.
Arni schreibt über eine Magd, die verdächtigt wurde, das ihr anvertraute Kind ermordet zu haben, über eine Sklavin aus Haiti, die ein halbes Jahrhundert in einer Schweizer Villa lebte, über Intellektuelle, die nicht schreiben wollten, über eine Anwältin, die sich für die politischen Rechte der Frauen stark machte, einer Psychoanalytikerin, die in Westafrika ergründen wollte, wie man die Europäer zu glücklicheren und freien Menschen machen könnte.
Vielen dieser Frauen sind Widersprüche gemein: Sie vertreten Ideen, die sie nicht oder nur teils in entsprechendes Handeln umsetzen können. Sie hängen verschiedenen Träumen nach, die nicht miteinander vereinbar sind. Und sie stellen Rechnungen an, die einfach nicht aufgehen wollen.
Alle zwölf Porträts sind Auseinandersetzungen mit historischem Stoff, wobei Zitate der beschriebenen Frauen zahlreich in die Texte einfließen und die „Figuren“ durch ihre „eigenen Stimmen“ noch plastischer in Erscheinung treten lassen. Die Autorin schreibt über ihre Texte:
Nichts ist erfunden, aber es gibt die historische Einbildungskraft: Sie wählt aus, sortiert und komponiert, bringt das eine mit dem anderen in Zusammenhang, verknüpft dieses mit jenem, hält auseinander, lässt weg.
Die Frauengeschichten werden nicht als Heldengeschichten geschildert. Aber vieles, was wir über die Lebensgeschichten der Frauen hören, kommt uns auch im Hier und Heute sehr bekannt vor. So heißt es etwa über die Zeit der Äbtissin Katharina von Zimmern:
Geist und Körper, Mann und Frau, Selbst und Materie, das eine war nicht dasselbe wie das andere, aber beides war verbunden miteinander, manchmal auch durch die Fähigkeit der Verwandlung.
Und über die Anwältin Emilie Kempin Spyri und die Frage, ob sich auch ledige Frauen rechtmäßig als „Frau“ titulieren dürften und nicht auf das verkleinernde „Fräulein“ zurückgreifen müssten – es ist das angehende 20. Jahrhundert (!) –, heißt es:
Was heisst denn Frau? Es heisst, die Frau von jemandem sein, es heisst: Ehefrau sein. Bis dahin ist eine Frau ein Diminutiv ihrer selbst, ist, was sie erst sein wird.
Dass Frauen primär über ihr Geschlecht und ihren Status „im Verhältnis zu Männern“ definiert wurden, jedoch kaum über ihre Leistungen und ihr „Sein“, zeigt sich auch im Porträt der Künstlerin Meret Oppenheim:
Als wäre sie nur zu sehen, wenn zwischen ihr und Künstlermännernamen in Grossbuchstaben Linien gezogen werden könnten. Vom wem stammt sie ab, wer hat sie unterrichtet, mit wem hat sie sich zusammengetan, wen liebte sie.
So lernen wir aus diesen Porträts vor allem, dass es in der Geschichte, falls überhaupt, nur wenige Fortschritte gibt, dass aber dennoch viele Frauen der Geschichte die Kraft fanden, für die eigenen Vorstellungen einer besseren Zukunft zu kämpfen. Nicht für alle war dieser Kampf im eigenen Leben lohnend. Aber wenn man diese Geschichten liest, dann wird klar, dass das – noch deutlich ausbaufähige – Maß an Gleichberechtigung, das Frauen der Gegenwart zusteht, auch mit dem Engagement dieser Frauen der Geschichte zusammenhängt.
Dank an Beate Kniescheck
- Caroline Arni: Lauter Frauen. Zwölf historische Porträts. Basel: Echtzeit Verlag, 2. Auflage 2022. 188 Seiten, Hardcover. 30 Euro.
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