
Einmal jemand anderes sein und die kleinen Niederlagen des Alltags vergessen können. Wenn nicht gerade Karneval oder Halloween ist, bieten soziale Medien eine Möglichkeit, in eine andere Rolle zu schlüpfen: etwa um dank Filtern und Photoshop Perfektionismus vorzugaukeln oder sich unter falschem Namen auf Kosten anderer zu profilieren.
Auch in Josef Kleindiensts Roman Mein Leben als Serienmörder, im Frühjahr erschienen im renommierten Wiener Sonderzahl Verlag, geht es darum, in eine andere Identität zu schlüpfen. Konrad Mola, ein mäßig erfolgreicher Schriftsteller, wird für die Filmrolle eines Serienmörders gecastet. Im realen Leben sitzt der Täter, der in den 1990er-Jahren eine Reihe von Frauen getötet hat, im Gefängnis und drückt dem Darsteller via Facebook seine Bewunderung aus. Dieser wiederum geht immer mehr in seiner Rolle auf. Er beginnt sich Gedanken darüber zu machen, wie es wohl wäre, jemanden in einen Hinterhof zu zerren oder im Wald arglose Opfer zu überfallen.
Ein Darsteller erzählte mir am Set, dass Schauspieler, die einen Mörder spielen, bis fünf Stunden nach ihrem Auftritt vor dem Gesetz als nicht zurechnungsfähig gelten.
Vielleicht sollte er es einfach ausprobieren? Doch dann wird aus dem Gedankenspiel mit einem Mal blutige Realität: Eine Prostituierte wird ermordet und Konrad Mola ist auf den Bildern der Überwachungskamera vor der Haustür des Opfers zu sehen. Da er in jener Nacht sturzbetrunken war, kann er sich an nichts mehr erinnern. Mola ist beunruhigt, ob er nicht womöglich wirklich zu einer Gewalttat fähig wäre. Die Medien greifen den Fall sofort gierig auf, denn sie wittern eine reißerische Story.
Wie unsere Recherchen ergaben, wurde der Wiener Schriftsteller Konrad M. zu dem Mord an der Sexarbeiterin befragt. M. hat erst unlängst im neuen Film von Paul Kachelstein in seiner ersten Filmrolle einen Serienmörder gespielt. Wurde er nun selbst zum Mörder?
Der Tatverdacht und der Umstand, dass er gerade einen Serienmörder gespielt hat, machen Mola zu einer Person öffentlichen Interesses. Auf Facebook wird er bedroht und beschimpft, alte Freunde rufen ihn plötzlich wieder an, ein Fernsehsender lädt ihn als Talkshow-Gast ein. Auch hier wird ihm eine Rolle zugeteilt. So erhofft sich die Moderatorin der Sendung „Sex und Schmerz. Widerspruch oder Lustgewinn?“ Einblicke in Molas vermeintlich dunkle Psyche. Den Facebook-Fans gefällts.
Das Rollenspiel, das zunächst noch eine willkommene Gelegenheit zu sein schien, dem eher eintönigen Alltag zu entkommen, gerät für Konrad Mola zunehmend außer Kontrolle. Immer mehr verwischt die Grenze zwischen Rolle und Realität und auch die Freundin glaubt längst nur noch, was in den Medien über ihn gemunkelt wird.
Josef Kleindiensts Roman überzeugt nicht nur als rasanter Krimi, auch als bitterböse Mediensatire sorgt Mein Leben als Serienmörder für kurzweilige Unterhaltung. Kleindienst, der ebenfalls Schriftsteller und Schauspieler ist, hat mit Konrad Mola einen Antihelden erschaffen, der nicht mehr weiß, was er glauben soll. Dabei gelingt es dem Autor Molas wachsende Unsicherheit und Verwirrtheit glaubwürdig darzustellen. In sparsamen, pointierten Sätzen zeichnet er die Identitätskrise des Protagonisten nach. Die Dialoge sind lebendig und abwechslungsreich.
Während Molas Gedanken um die Frage nach der eigenen Schuld kreisen, wird bald klar, dass es vielmehr zählt, wer die bessere Geschichte erzählt. Einmal von den Medien ins falsche Licht gestellt, ist es schwer, die öffentliche Meinung umzudrehen. So zeigt sich letztendlich auch die Kehrseite des Rollenspiels. Denn wer nicht aufpasst, bekommt ganz schnell einen undankbaren Part zugeteilt – Hauptsache es ist ein super Stoff, vielleicht sogar für das nächste Drehbuch.
Dank an Barbara Seidl
- Josef Kleindienst: Mein Leben als Serienmörder. Wien: Sonderzahl Verlag 2022. 184 Seiten, Hardcover, 13,5 x 21 cm. 20 Euro.
Wir freuen uns über eine Unterstützung unserer Autor*innen!