Anna Herzig im Gespräch mit Paul Ferstl

Foto (c) Goumbik

… Wenn das Schweigen System hat, dann lassen wir einander leiden.

Paul Ferstl

Ich habe den österreichischen Schriftsteller Paul Ferstl, dessen Roman Das Grab von Ivan Lendl große Kreise zieht, gefragt, wer zuerst da war, der Zivildiener Pich, sein Kollege Ivan oder dessen Grab. Und seine sanfte Antwort, die mir augenblicklich die Innerlichkeit erwärmt hat, war folgende: „Zuerst das Grab, dann muss es einer schaufeln, damit einer drinnen liegen kann. Ganz zuerst war aber die Geschichte von zwei Kleinkindern, die nacheinander auf die Straße gelaufen sind, um überfahren zu werden, die musste ich erzählen, um sie zu begraben.“

Seine Einfühlsamkeit und das Gespür für feine Figurenzeichnung, lebensnahe Dialoge, außergewöhnliche Satzromantik und das präzise Wissen darum, wann es Zeit ist, welches Wort wo hinzusetzen, machen Paul Ferstl zu einer der beeindruckendsten Persönlichkeiten der österreichischen Gegenwartsliteratur. Ferstl hat ihn gemeistert, den prosaischen Sound der Empathie. Der Roman, Ferstls dritter, ist in diesem Frühjahr im Milena Verlag aus Wien erschienen und ist nominiert für die Hotlist 2022.

Los!

Paul Ferstl (Foto privat)

Lieber Paul, warum zieht es dich hin zu den Wörtern und wer wärst du am ehesten, wenn nicht Paul Ferstl?

Die Wörter waren mein erstes Versteck und meine erste Heimat. Sie waren und sind mein vertrauter Filter, und mit ihnen kann ich neue Welten bauen.
Wenn ich nicht Paul Ferstl wäre, hätte ich einen anderen Namen, und diesen müsste ich leben. Ich bin froh, dass ich nicht Lendl heiße, ich werde nie ein Ivan sein müssen.

Wie würdest du Rumänien in zwei, drei oder sogar vier Sätzen zärtlich beschreiben?

In Rumänien bin ich erwachsen geworden. Wir haben einander nicht ausgesucht, wir haben miteinander gelebt, dann sind wir getrennte Wege gegangen. Ich würde aber wieder hingehen, um erwachsen zu werden.

Das ist Mujdei, das Drittbeste … was soll’s. Hast gesehen, was ich gemacht hab? Das machst am besten auch. Dann in eine Hand ein Stück Brot, in die andere Hand eine scharfe Pfefferoni, in die dritte Hand einen Löffel, und dann alles abwechselnd einsetzen. Los!

Ist Schweigen ein Stilmittel in der Literatur oder gar ein menschlicher Makel? Ist es möglich, sich mit allem Nichtgesagten auszusöhnen?

Schweigen ist für sich kein Makel. Es ist auch kein Stilmittel, sondern im Moment das Wichtigste in der Literatur für mich. Aus Worten baue ich nur den Kanal, in dem das Schweigen und die Stille fließen, solange nur eine*r liest.
Aus Nichtgesagtem wird immer etwas anderes werden. Das kann auch Versöhnung sein. Wenn Verschweigen aus Unterdrückung geschieht – aus Angst und Scham und Gewalt –, wird das Aussöhnen schwierig. Das Unausgesprochene wird dann eher noch mehr Angst schaffen, noch mehr Scham und Gewalt. Und wenn das Schweigen System hat, dann lassen wir einander leiden.

Kommst hin, alles seltsam. Aber da gräbt ein junger Typ das Grab für deinen Bruder. Das ist schon auch seltsam, klar. Aber du bist ein gutes Stück Mann, Pich, sieht man sofort. Brauchst eh nichts sagen. Weißt es ja auch gar nicht. Ich fühl mich wie betrunken, ist aber gar nicht so, verstehst? Ich sag es nur, wie es ist, das kann auch ein Rausch sein, verstehst? Weilst es nie gekannt hast vorher. Kein Mensch hat nie was gesagt, mein Leben lang, ihres auch, ich bin noch da.

Was bereichert deinen inneren Kosmos?

Alltägliche Großzügigkeit, Aufrichtigkeit in Schönheit und Solidarität, Ironie nie als Grundnahrungsmittel.

Sie waren sich alle einig gewesen, dass die Sache scheiße war. Also hatten sie nicht viel darüber geredet. Es musste erledigt werden. Vier Mann waren eigentlich zu viel, denn nur einer hatte Platz im Grab.

Was darf Prosa nicht? Und was sollte sie unbedingt?

Ich mache der Prosa keine Vorschriften. Von mir verlangt sie tiefes Misstrauen gegenüber allen Sätzen, die ohne Kontext zum Kalenderspruch taugen, und gegenüber dem ostentativ Poetischen. Literatur ist Literatur, aber wenn sie nicht versucht mehr zu sein und in jene Welt zu weisen, die auch dann existiert, wenn niemand liest – dann interessiert sie mich nur selten.

Danke Anna Herzig und Paul Ferstl!

  • Paul Ferstl: Das Grab von Ivan Lendl. Wien: Milena Verlag 2022. 293 Seiten, gebunden. 22,90 Euro.

Wir freuen uns über eine Unterstützung unserer Autor*innen! 

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