Nachgefragt: der Magas Verlag

Foto (c) Melk Hagelslag

2021 auf die Welt gekommen! Spezialisiert als unabhängiger Kleinverlag auf die Themen Menstruation, Schwangerschaft, Geburt, Menopause und weibliche Sexualität. Höchste Zeit nachzufragen. Doris Hermanns hat sich mit der Verlegerin des Magas Verlags Gerit Sonntag unterhalten. Wir freuen uns über das zweite Interview der „BücherFrau des Jahres 2021“ in unserer Reihe Nachgefragt:.

Doris Hermanns: Gerit, du hast deinen Verlag – den Magas Verlag – gerade erst in Bonn gegründet, was mich sehr beeindruckt, denn zu Corona-Zeiten ist es für unabhängige Verlage ja nun nicht gerade einfach zu überleben. Was ist die Idee hinter dem Verlag? Was hat ihn notwendig für dich gemacht? Und was ist dein Motto?

Meine Erfahrung mit der Menopause hat mir gezeigt, dass es noch zu wenig Informationen über den weiblichen Körper gibt. Als ich dann noch gesehen habe, dass es den Verlag Frauenoffensive nicht mehr gibt, der mich in der Teenagerzeit mitgeprägt hat, tat es mir um die vielen guten Bücher leid, die jetzt nicht mehr aufgelegt werden.

Der Verlag hat das Motto „Bücher, die Frauen stärken“, und es geht um weibliche Körperlichkeit, also um Menstruation, Schwangerschaft, Geburt, Menopause und weiblichen Sex. Und natürlich um die gesamtgesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge dieser Themen.

Die Elterninitiative Mother Hood e. V. scheint für dich dabei wichtig gewesen zu sein. Was hat es damit auf sich?

Der Verein wurde 2015 gegründet aus einer Facebook-Gruppe, die sich Hebammenunterstützung nannte. Die Gründerinnen von Mother Hood und auch ich haben begriffen, dass es nicht „nur“ um das Aussterben des Hebammenberufes geht, sondern dass es um die Selbstbestimmung der Frau geht. Zwar sind alle Frauen im herrschenden Patriarchat benachteiligt, aber während Kinderlose noch die Kraft haben, für ihre Rechte zu kämpfen, leben die Mütter eigentlich permanent am Rande ihrer Belastungsgrenze und zu oft darüber hinaus. Das färbt dann auch auf nachfolgende Generationen ab.

Im Verein haben wir festgestellt, dass es so gut wie keine deutschen Bücher über selbstbestimmte Geburten gibt, wohl aber englischsprachige. Ein Grund dafür ist u. a., dass dort die Hebammenausbildung universitär ist. In Deutschland müssen Hebammen erst seit 2020 einen Bachelor machen, die Studiengänge dafür sind noch im Aufbau. Daher habe ich den Verlag gegründet.

Abgesehen von Mother Hood, wie wichtig ist Netzwerken für dich? Gibt es noch andere Netzwerke in deinem Leben?

Ich fand es immer schon legitim, dass alle Seiten einen Vorteil aus einer Verbindung haben, aber vor allem lebe ich nach dem Motto: Informationen/Wissen werden mehr, wenn man sie teilt. Und ich finde gegenseitige Hilfe äußerst bereichernd. Kurz nach der Verlagsgründung bin ich den BücherFrauen beigetreten und habe dort große Unterstützung erfahren. Ich denke, Netzwerken ist ein Wort, dass sich Manager ausgedacht haben, Frauen machen das ganz einfach automatisch, sofern sie nicht der Rivalitätsfalle auf den Leim gehen.

Ich möchte Teil der neuen Frauenbewegung sein, die das Ruder rumreißt und die Welt vor dem Untergang bewahrt. Nichts Geringeres ist meine Absicht.

Die ersten drei Bücher sind bereits erschienen. Du hast sie über Crowdfunding finanziert, bis jetzt sind es Übersetzungen, die ja auch nochmal kostenintensiver sind. Wie hat das funktioniert und für wie viele Bücher reicht dieses Geld?

Beim Crowdfunding ist nur 1/3 des Geldes reingekommen, das ich mir erhofft hatte, deshalb habe ich mir in diesem Jahr nochmals Geld geliehen, damit sollte ich die geplanten 10 Projekte hinbekommen. Was danach kommt ist völlig offen: Entweder wird der Verlag ein Erfolg und es kommen 2023 wieder neue Bücher hinzu oder aber es läuft so schleppend, dass ich mir erstmal keine weiteren Buchprojekte leisten kann.

Du willst Bücher machen, die „Frauen stärken“. Was bedeutet das konkret für dich, für den Verlag? Um welche Bücher geht es?

Wissen ist Macht, und wer nichts weiß, muss alles glauben. Ich habe mal im Radio gehört, wie die Moderatoren den Zuhörerinnen im Teenageralter ernsthaft geraten haben, sie sollten doch die Pille nehmen, dann wäre alles viel leichter: weniger Pickel, weniger Stimmungsschwankungen, schmerzlose Periode usw. Fast so, als würde man eine Glückspille einnehmen. Ich habe wirklich Angst, dass junge Menschen (z. B. meine 11-jährige Tochter) diesen Blödsinn glauben.

Auffällig ist, dass es sich bei den bisherigen Titeln nicht unbedingt um Selbsthilfebücher handelt, sondern das Politische daran betont wird, bei Gabrielle Palmers Buch „Warum Stillen politisch ist“ sogar im Titel, aber inhaltlich geht es beispielsweise auch um Migration und Klimawandel, woran die meisten beim Thema Stillen wohl eher nicht denken würden, aber mich als Nicht-Mutter beispielsweise sehr anspricht. Wie wählst du die Bücher aus, die du machen willst?

Selbsthilfebücher sind doch die, wo vorne das Problem draufsteht und wenn man es gelesen hat, ist das Problem gelöst, nicht wahr? Warum gibt es dann eigentlich immer neue Selbsthilfebücher?

Mir geht es um Wissensvermittlung. Eigentlich ist ja alles bekannt, aber eben noch nicht jedem und jeder. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Stillen politisch ist als ich es getan habe. Ich wusste damals auch noch nicht, dass die WHO-Empfehlung immer nur der kleinste gemeinsame Nenner vieler sich widerstreitender Interessensparteien darstellt. Ich war wirklich der naiven Meinung, dass unser ganzes medizinisches System auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und immer zum Wohle des Patienten bzw. der Patientinnen sind.

Spannend finde ich auch ein Manga über Vulvakunst (mit Leseanleitung für Manga-Ungeübte), das sich nicht nur mit Anatomie , sondern auch mit Fragen der Kunst – wann fängt Kunst an, obszön zu werden? – beschäftigt. Die Künstlerin Rokudenashiko ist dafür bereits zweimal ins Gefängnis gekommen. Warum sollte sie verboten werden?

Tja, ich denke, es ist einfach, sich über Japan aufzuregen, wo das Fest des stählernen Penis traditionell einmal im Jahr gefeiert wird, aber die Darstellung einer echten Vulva gegen das Gesetz verstößt. Auch hier in Deutschland ist es doch so: Frauenkörper dürfen für den männlichen Betrachter gezeigt werden, aber wenn das nicht das Ziel ist, dann soll die Frau sich bedecken, z. B. finden viele ja auch stillende Mütter anstößig. Dagegen müssen wir doch angehen.

Bei dem Verbot der Vulvakunst musste ich auch daran denken, dass es bis zu diesem Jahr (2022!) keine korrekten Abbildungen von und Informationen über eine Klitoris in Schulbüchern gab. Nun gibt es bei dir im Verlag auch ein anatomisches Modell einer Klitoris, sehr anschaulich! Wie kam es dazu?

Dass viele Ärzte in Deutschland während einer Geburt einen Dammschnitt machen und dabei häufig auch die Klitoris beschädigen, weiß kaum jemand. Das Klitorismodell kommt aus dem 3-D-Drucker und basiert auf der ersten anatomisch korrekten Vermessung, die Prof. Helen O’Connel 1998 erstmalig durchgeführt hat. Wie es dazu kam, dass ich die Modelle im Onlineshop anbiete? Na ja, die Tochter einer Freundin hat mal eines hergestellt, da war dann schnell die Idee geboren. Ich finde, jede Person sollte wissen, wie das weibliche Lustorgan aussieht.

Welche Bücher können wir in diesem Jahr noch erwarten? Zu welchen Themen?

Im Druck ist gerade Dringend rotwendig – die menstruelle Revolution von Karen Pickering und Jane Bennett (Deutsch von Maike Hopp). Es gibt zwar schon das ein oder andere Buch über die Menstruation, aber das wirklich neue an diesem Sachbuch ist, dass die Autorinnen auf Grundlage einer umfangreichen Befragung und einer konkreten Testphase im eigenen Unternehmen erläutern, welche Auswirkungen menstruelle Scham hat und wie man sie beseitigen kann. Am Ende des Buches richten sie fünf konkrete Forderungen an Politik und ArbeitgeberInnen, um endlich der Lebensrealität der halben Menschheit gerecht zu werden.

Kurz danach wird ein Jugendroman erscheinen: Fünf Julias von Matheus Souza, aus dem Brasilianischen übersetzt von Petra Bös. Hier geht es um die Probleme von heranwachsenden Frauen und soziale Medien.

Dann kommen noch drei Bücher zur Geburt, die aus meiner Vorgeschichte mit Mother Hood resultieren: Gebären wie eine Feministin etwa stammt von der englischen Begründerin des positiv birth movement Milli Hill, die mit konkreten Anweisungen zeigt, wie jede Frau ihr Geburtserlebnis verbessern kann. Geburt von der Stange? – Warum Frauen weltweit außerklinisch gebären ist wieder ein sehr politisches Buch, hier vor allem hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen.

Dank an Doris Hermanns und Gerit Sonntag vom Magas Verlag!

Wir freuen uns über eine Unterstützung unserer Autor:innen!

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