Nachgefragt: Der persona verlag

Der Mannheimer persona verlag feiert im kommenden Jahr sein vierzigstes Verlagsjubiläum. Höchste Zeit nachzufragen! Doris Hermanns, renommierte Autorin, Publizistin, Redakteurin und Übersetzerin aus Berlin, hat sich mit der Verlegerin Lisette Buchholz unterhalten. Wir freuen uns über das Auftaktinterview der „BücherFrau des Jahres 2021“ in unserer neuen Reihe Nachgefragt:.

Doris Hermanns: Lisette, dein Verlag – der persona verlag –  wurde 1983 gegründet. Was war damals dein Anliegen?

Ich wollte unbekannt gebliebene Texte aus dem deutschen und österreichischen Exil zugänglich machen. Das Interesse an dieser Literatur wurde entscheidend durch mein Slawistikstudium und der damit verbundenen Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen in Osteuropa geweckt. Ich war sozusagen auf der Suche nach dem anderen Deutschland.

Manche deiner Bücher sind Erstausgaben in Deutschland; gleich das erste – Manja von Anna Gmeyner – gilt inzwischen als Klassiker der Exilliteratur. Wie kommen die Bücher zu dir? Suchst du sie selbst aktiv oder machen andere dir Vorschläge? Wie beispielsweise zur gerade erschienenen Neuauflage von Invasion Day (1948), jetzt unter dem neuen Titel Wir waren ja wahnsinnig, damals, einer Erzählung von Elisabeth Freundlich, von der du 1986 bereits das Buch Finstere Zeiten mit vier Erzählungen herausgebracht hast.

Manja war eine Empfehlung von Fritz Landshoff, mit dem ich korrespondierte, der diesen Roman 1938 bei Querido verlegt hatte. Durch eine Suchannonce konnte ich die Autorin sogar noch ausfindig machen. Andere Titel habe ich selbst recherchiert: Anfangs arbeitete ich regelmäßig im Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek und durchforstete die Exilzeitschriften nach annoncierten bzw. rezensierten Neuerscheinungen. So entdeckte ich u. a. Lili Körber (Die Ehe der Ruth Gompertz) und konnte noch ihren Mann Eric Gravé kennenlernen. Manche Titel wurden mir durch andere Exilforscher/innen angetragen, z. B. Die deutsche Walpurgisnacht von Dosio Koffler durch Karl Riha, und Heike Klapdor hat mich seinerzeit auf Jedes Tier kann es von Ruth Berlau aufmerksam gemacht. Auch die Übersetzer/innen sind eine wichtige Quelle für Anregungen: Thomas Reschke, mit dem ich bereits für den Sostschenkoband zusammengearbeitet hatte, machte mich auf Eduard Kotschergin aufmerksam, dessen erschütternde Erzählungen Die Engelspuppe dann bei mir erschien. Elisabeth Freundlich dagegen schrieb mich selbst an: Sie hatte auf abenteuerlichen Wegen vom neu gegründeten persona verlag erfahren und bot mir 1984 Erzählungen an, die erwähnten Finsteren Zeiten. Die Neuausgabe von Invasion Day (1948) unter dem Titel Wir waren ja wahnsinnig, damals verdankt sich der Initiative des Herausgebers Andreas F. Kelletat.

Lisette Buchholz (Foto © Claudia Kühner)

Wunderbarerweise hältst du alle Titel des Verlags lieferbar. Hat sich dein Programm im Laufe der Jahre geändert? Falls ja, wodurch?

Eine erste große Änderung ergab sich, als ich die israelische Schriftstellerin Savyon Liebrecht anlässlich des ersten deutsch-israelischen Schriftstellertreffens in Freiburg kennenlernte. Mit ihren Erzählungen Äpfel aus der Wüste erweiterte sich mein Programm entscheidend, indem es um die Folgen des Zweiten Weltkrieges in einem anderen Land ging. Als weitere Übersetzung aus dem Hebräischen erschien Nava Semels Und die Ratte lacht, das formal und inhaltlich neue Wege ging. Es gibt viele Übersetzungen im persona verlag, z. B. zu Norwegen, Finnisch-Lappland oder Frankreich unter deutscher Besatzung. Meine politisch-literarische Leitlinie ist geblieben, dazu zählen auch die zeitkritischen Bücher von Hazel Rosenstrauch. Die konstante Lieferbarkeit ist mir wichtig, obwohl sie Unsummen verschlingt. Ich halte nichts von kurzfristigem Puschen und anschließendem Verramschen. Es sind ja nur wenige Titel, die ich verlege, und sie sind alle von anhaltender Qualität, sie bleiben aktuell und brennend. Wahrscheinlich sind es eigentlich Liebesgeschichten … true love never will never die!

Du verlegst – bis auf wenige Ausnahmen – ein Buch pro Jahr. Wie kam es nach den ersten beiden Büchern, die gleichzeitig erschienen (neben Manja war dies Die Ehe der Ruth Gompertz von Lili Körber) zu der Entscheidung, nur ein Buch pro Jahr herauszubringen?

Das waren rein finanzielle Gründe. Bis heute arbeite ich als freie Lektorin und unterrichte Deutsch für Ausländer/innen, um den Verlag halten zu können. Dazu drucke ich laufend Titel nach, was natürlich auch kostet, zuletzt u. a. Wenn es einen noch gibt von Rose Lagercrantz, Simon Veit von Hazel Rosenstrauch oder Wie mit Gabeln aufs Wasser geschrieben von Michail Sostschenko.

Wie arbeitest du? Alleine oder mit Honorarkräften?

Alleine. Aber es gibt einen festen Stamm von Mitarbeiterinnen, z. B. die Setzerin Petra Petzold sowie die Grafikerinnen Vera Lais-Herold und Barbara Straube, mit denen ich seit fast vierzig Jahren zusammenarbeite. Und natürlich die von mir sehr geschätzten und bewunderten Übersetzer/innen! Und Corinna Noltenius, die meine Website betreut. Nicht zu vergessen meinen stets hilfsbereiten Kollegen Horst Temmen.

Was war für dich dein wichtigstes Buch? Welches hat sich am besten verkauft?

Mein Bestseller ist Manja von Anna Gmeyner, dicht gefolgt von Ruth Berlaus Jedes Tier kann es. Manja ist vielleicht das wichtigste Buch, weil es unglaublich vielfältige und erfreuliche Kontakte und Freundschaften mit sich brachte. Und es ist ein sprachliches Meisterwerk, das für die nachfolgenden Titel Maßstäbe gesetzt hat.

Hast du den Eindruck, dass sich der Blick auf Exilliteratur in den letzten fast vierzig Jahren verändert hat? Dass sie heute mehr wahrgenommen wird als zu der Zeit, als du mit dem Verlag angefangen hast?

Auf jeden Fall. Damals galt noch Alexander Mitscherlichs Diktum: „Wir erkennen unsere Vergangenheit besser im Ritterkreuzträger als im deutschen Emigranten.“ Das ist glücklicherweise nicht mehr so. Und ich war und bin nicht der einzige Verlag, der sich um Exilliteratur kümmert. Doch es bleibt schwierig  ̶  meine Bücher sind keine leichte Kost. Das schreckt aber z. B. einen japanischen Verlag nicht ab, eine Lizenz von Anna Rheinsbergs Kriegs/Läufe. Namen.Schrift zu erwerben, in dem es ja um drei Emigrantinnen geht: Emmy Ball-Hennnings, Claire Goll und Else Rüthel. Das hat mich ebenso erstaunt wie gefreut!

Hast du schon Pläne für das 40-jährige Verlagsjubiläum im nächsten Jahr?

Noch nicht direkt, aber es rumort schon in mir.

Dank an Doris Hermanns und Lisette Buchholz vom persona verlag!

Wir freuen uns über eine Unterstützung unserer Autor:innen!

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