
Sie gehört zu den bedeutenden kanadischen Schriftstellerinnen – neben Alice Munro, Margaret Atwood, Marian Engel: Margaret Laurence (1926–1987). Bei uns ist sie jedoch immer noch eine Unbekannte. Dass sich das ändert, dafür sorgt gerade der Münchner Eisele Verlag. Nach dem Roman Der steinerne Engel (2020) ist nun zum ersten Mal auf Deutsch ihr – in Kanada 1966 erschienener und damals hoch ausgezeichneter – Roman Eine Laune Gottes herausgekommen. Eine literarische Entdeckung .
Beim erneuten Lesen von „Eine Laune Gottes“ war ich beglückt, wie wenig der Roman aus der Mode gekommen ist. Was Rachel uns heute als Leserinnen und Lesern geben kann, ist etwas, das wir immer noch lernen müssen: Wie man seine eigenen menschlichen und notwendigen Grenzen zur Kenntnis nimmt, seine eigene Torheit. Wie man sowohl Nein als auch Ja sagt.
Schreibt Margaret Atwood in ihrem Nachwort (aus dem Jahr 1988).
Rachel: Das ist die Heldin dieses Romans, der von selbstquälerischer Unsicherheit, weiblichem Begehren – und von Aufbruch erzählt. Die Ich-Erzählerin ist Lehrerin, Anfang 30, sie lebt mit ihrer Mutter in dem Haus, in dem sie aufgewachsen ist, in einer fiktiven kanadischen Kleinstadt Anfang der 1960er-Jahre. Ihre ältere Schwester ist früh weggezogen, aber Rachel kam nach dem Tod des Vaters zurück, um sich um die Mutter zu kümmern. Eine Frau mit Herzproblemen, die die Tochter auf ebenso perfide wie liebenswürdige Weise an sich bindet, die sie unter Druck setzt und ihr keine Freiheit lässt, die mit ihr spricht wie mit einem Kind, ihr die Kleidung vorschreiben möchte:
Ich werde mich nicht umziehen. Ich mag das rosafarbene Halstuch nicht. Jetzt werde ich mich mit dem orangefarbenen aber auch wieder blöd fühlen. Würde ich sie jemals auf das hinweisen, was sie tut, wäre sie gekränkt und verblüfft und würde es abstreiten. Sie glaubt steif und fest, dass sie niemals schlecht über jemanden redet oder böse zu jemandem ist. Einmal, als ich noch ziemlich jung war, sagte sie zu mir: „Was immer die Leute sagen, dein Vater ist ein guter Mann – das musst du immer glauben, Rachel!“
Rachel lebt in Abhängigkeit von den Launen und Befindlichkeiten der Mutter und lässt es sich um des lieben Friedens willen gefallen. Wie sie vieles mit sich geschehen lässt, um Auseinandersetzungen zu vermeiden – mit dem Direktor ihrer Schule etwa, einem gerne prügelnden Pädagogen, oder ihrer aufdringlichen Kollegin. Sie führt permanent innere Selbstgespräche über ihr Tun und Handeln, schämt sich für ihr ungelenkes Verhalten, ihre Ängste. Sie mag ihre kleinen Schülerinnen und Schüler – und denkt doch, dass sie keine gute Lehrerin ist. Sie ist keine schöne Frau, zu groß, zu knochig, möchte sich gerne kleiner machen. Sie träumt – nein, nicht von der Liebe, sondern ziemlich handfest von sexuellen Begegnungen. In Wirklichkeit hat sie noch nie mit einem Mann geschlafen.
Aber das ändert sich in diesen Sommerferien, von denen Margaret Laurence hier erzählt. Rachel trifft zufällig einen alten Mitschüler. Er ist Lehrer an der Highschool in der Großstadt, verbringt die Sommermonate bei seinen Eltern. Er langweilt sich, verabredet sich mit dieser Frau, die immer Zeit für ihn hat, die unsicher und schüchtern ist. Die mit ihm schläft. Zum ersten Mal hat sie ein Verhältnis mit einem Mann – und ist glücklich dabei. Sie verliert ihre Angst, staunt über die eigene Lust und Stärke.
Margaret Lawrence erzählt eindrucksvoll, voller Details und mit großem psychologischem Einfühlungsvermögen von dieser ungleichen Affäre, von einem ganz netten Mann, der sich nur die Zeit vertreibt mit der alten Mitschülerin, von einer unverheirateten Frau, die ihre Sinnlichkeit entdeckt, deren Leben sich mit dieser Begegnung jedoch ändert, denn nach diesem Sommer wird nichts mehr so sein, wie es war. Er ist über alle Berge, hat sich nicht einmal verabschiedet. Sie leidet eine Weile heftig und denkt über diesen Liebeskummer nach, seziert ihn geradezu. Vor allem aber begreift sie, dass sie ihr ereignisloses Leben ändern muss, und wird es auch tun. Sie wird nicht länger selbstlos und voller Selbstzweifel sein und sich über den Willen der Mutter hinwegsetzen. Sie wird die Schule und den kleinen Ort verlassen, ein neues Leben beginnen. Ein großartiger Roman über Selbstermächtigung, über Freiheit und nicht zuletzt über weibliches Begehren.
Dank an Manuela Reichart (adaptiert, Originalbeitrag auf DLF)
- Margaret Laurence: Eine Laune Gottes. (A Jest of God, New End 1966). Aus dem kanadischen Englisch von Monika Baark. Mit einem Nachwort von Margaret Atwood. 287 Seiten, gebunden, 12,5 x 20,5 cm. 22 Euro. Auch als E-Book erhältlich.
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