David Wonschewski: Blaues Blut (Periplaneta Verlag)

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In seinem Debütroman Schwarzer Frost (2012) lieferte David Wonschewski seinerzeit tiefe Einblicke in die kaputte Psyche eines potenziellen Mörders. Wer von Blaues Blut, dem frisch erschienenen Roman des Autors, ebenfalls aus dem Berliner Periplaneta Verlag, einen weiteren misanthropischen Streich erwartet, könnte sich wundern. Blaues Blut ist nicht nur das geniale Psychogramm eines zerrissenen Mannes, sondern auch ein raffiniert konstruierter feministischer Entwicklungsroman. Eine qualvolle Läuterung. Ein Schaf im Wolfspelz?

Blaues Blut ist ein harter Roman. Seine Härte erwächst aus der Tragik der Figuren und ihrer Konstellation zueinander. Jede einzelne trägt eine schmerzliche Last, allen voran der Protagonist Frankenfelder. David Wonschewski ist ein Meister der Sprache, des Spiels mit Worten und Widersprüchen, ganz wie Frankenfelder selbst. Stimmt er zärtliche Töne an, taucht im Nebensatz eine sarkastische Pointe auf, die genüsslich alles umkehrt und zunichtemacht. Dann haut er wieder in die dunkelsten Töne, derb und laut, dass sich alles in einem zusammenzieht.

Der junge Frankenfelder fällt bereits im Studium als Rebell auf, als einer, der sich der Gerechtigkeit verschreibt, aber auch mal ohne tieferen Sinn einen Geldschein im Gully versenkt, einfach mal tut, was man nicht tut. Er ist der Kumpel zum Feiern, dann und wann der polternde Draufgänger, und wenn es runter zu den Dieben geht, ist der schöne Cosmin stets dabei, der Verführer, der Schmiegsame. Von den beiden ist Frankenfelder der weitaus Harmlosere, der mit Tiefe, der leicht Entrückte, der zu viel Nietzsche liest. Frauen mögen das. Gerade die hingebungsvollen, die mit dem angeborenen Retterinstinkt wie Cristina, die sich in Frankenfelder verliebt. Nicht einmal verändern will sie ihn, nur retten – ehrlich und gutherzig durch ihre Liebe. Nur die Sprache der Liebe versteht Frankenfelder nicht. Doch die Faszination ist da, und so werden Cristina und Frankenfelder ein Paar.

Dem Frauentyp, der an den falschen Mann gerät, sind wir in Wonschewskis Büchern schon begegnet. Meist gelingt es ihnen nicht, sich rechtzeitig zu retten, vor sich selbst und vor Männern, die mit aufrichtigen Gefühlen umgehen wie echte Kerle mit zarten Geschenken.

Derweil sich Frankenfelder am Leistungs- und Optimierungswahn der Gesellschaft aufreibt, seine Jobs, einen nach dem anderen, hinschmeißt, immer zorniger und radikaler wird, taucht der glänzende Cosmin immer öfter im Leben des Paares auf. Eine unheimliche Ménage-à-trois nimmt ihren Lauf.

Frankenfelder ist Cristina inzwischen völlig entglitten. Er verliert sich zunehmend in Tiraden über die Unaufrichtigkeit der Welt und wird seiner Verfolgung durch die Ordnungsmacht gewahr. Der Informelle Mitarbeiter Krebs scheint alles über Frankenfelder zu wissen, er beschattet ihn seit Jahren. Vielleicht hätte er das Zeug zum Amokläufer, denkt sich Frankenfelder, würde er nur die Selbstinszenierung dabei nicht hassen. Lieber eliminiert er sich selbst. Er wirft Cristina raus, zerlegt seine Wohnung mit einem Hammer und wartet nun mit angezogenen Knien auf der Matratze hockend auf eine Art Auflösung.

Hier könnte der Roman enden, tut es aber nicht, denn Frankenfelder ist kein schlechter Mensch. Er will nicht der Böse sein. Seine Existenz ist ein ewiger Kampf innerer Widersprüche, ständig lauern ihm die Angst vor sich selbst, die Schuld, die Scham auf. Der Schmerz, den er verspürte, als Cristina ging, ist das einzige Gefühl, das in ihm geblieben ist. Vielleicht ist es dieser Schmerz, der ihm Kraft gibt, in die Welt zurückzukehren.

Du hast nie einen Text, ein Gedicht über die Liebe geschrieben. Und warum nicht Frankenfelder? Weil du jeden Morgen neben Cristina aufwachen durftest und nicht reden musstest.

Es ist eine Frau, die Frankenfelder schlussendlich rettet. Eine Frau mit strenger Hand, einem Blick aus Stahl, einem unerhört schönen Gesicht, eine Frau, die vielleicht einst eine Cristina war, eine, die Männer hasst aus gutem Grund und auf die Farce von Liebe nicht mehr reinfällt. Eine praktisch veranlagte zweifache Mutter, die sich ohne Rücksicht holt, was sie braucht. Eine, die Frankenfelder sehr wohl verändert.

Du erkanntest sofort, einzig an ihrem Blick, dass sie dich nicht liebt und niemals lieben wird, aber dass sie es sich in den Kopf gesetzt hatte, dich zu wollen. Das mag für Romantiker und Hohepriester lyrischer Liebe auf verwegene Weise widerlich klingen, doch es ist die größte Ehrlichkeit, der du je bei einem Menschen begegnet bist und du weißt, dass es auch das größte Opfer ist, dass eine Frau bringen kann, vor allem diese Frau, die du für den schönsten Menschen der Welt hältst (…)

Diese Wendung macht Blaues Blut für mich zu einem feministischen Roman, wenn auch zu einem tragischen. Frankenfelder erfährt ein Art Läuterung, lässt eben die Domestizierung zu, gegen die er sich bisher gewehrt hat. Nun spielt er die Rolle des Ehemanns, die des lustigen Ersatzvaters der zwei kleinen Mädchen. Dass das alles nur Inszenierung ist, spürt er deutlich. Frankenfelder ist unaufrichtig zu den Mädchen, zu der Frau, zu sich selbst. Ein Wolf im Schafspelz, also doch?

Ich höre das Johlen der Mädchen, höre auch das Kichern der Frau, spüre wie die allgegenwärtige Sehnsucht nach einem liebenden Vater und Ehemann mir die Schulterblätter zusammenpresst. (…) Schlimm aber ist auch das nicht, denke ich, während ich verstohlen zu der Frau hinüberschaue, die mir nicht weniger als das Leben gerettet hat.

Frankenfelder und diese Frau finden sich, zwei Menschen gezeichnet vom Leben. Sie geben sich Halt und mögen sich. Eine Lebenskonstellation, die nicht auf Liebe, sondern auf Sicherheit beruht und deshalb vielleicht sogar besser funktioniert. Und so scheint er gerettet zu sein, dieser Frankenfelder, doch sollten wir uns, keinen Illusionen hingeben, denn alles ist Schein in diesem großartigen, raffinierten, herzzerreißend tragischen Roman.

Dank an Nikoletta Kiss

  • David Wonschewski: Blaues Blut. Ein Biedermeiersehnsucht. Berlin: Periplaneta Verlag 2022. 258 Seiten, Klappenbroschur. 14,90 Euro

Wir freuen uns über eine Unterstützung unserer Autor:innen!

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