
Recht und Gerechtigkeit, Glaube und Wahrheit, Verbrechen und Verantwortung: In Daniel Levins Debütroman Milenas Versprechen geht es um große Themen und ihre Widersprüche, philosophische Konzepte und einen Mord, der den Angelpunkt für einen anregenden Mailaustausch zwischen New York und Tel Aviv bildet.
Eine Frau sitzt fünfundzwanzig Jahre im Gefängnis. Der Vorwurf: Mord an ihrem Ehemann. Die Beweislage: dünn bis fragwürdig. Dennoch hüllt sich die sonst wortgewandte und scharfsichtige Jura-Dozentin Milena Frank in beharrliches Schweigen. Was wie ein Thriller beginnt, ist ungleich mehr. Beim Rekonstruieren des Geschehenen nutzt Daniel Levin, der abseits vom literarischen Schaffen als Rechtsanwalt tätig ist, sein Fachwissen gekonnt, um moralische Fragen der Rechtswissenschaft zu beleuchten, und wagt sich dabei abwechselnd an mindestens so heiße Eisen rund um die Themen Religion und Glauben. Bestechend ist der analytische Blick, raffiniert die Form, die den bisweilen komplexen Themen die Schwere nimmt, ohne sie je zu verwässern.
Thomas: Nicht an sich selbst, sondern im Gegenteil nur an ihre Kinder habe sie gedacht, als sie das Urteil des Gerichts vorbehaltlos akzeptiert habe. Aber, fügte sie hinzu, es sei wohl noch zu früh für mich, das zu verstehen, und bestimmt viel zu früh, es zu akzeptieren.
Rachel: Zu früh?
Thomas: Ich weiß, das hat geschmerzt. Wie kann es nach 25 Jahren noch zu früh sein? Ich kann dieses Rätsel nicht lösen, finde aus dem Labyrinth ihrer Worte keinen Ausweg.
Rachel: Scheint wirklich eine Vexierfrage zu sein, und ich würde Dir gerne helfen, sie zu beantworten.
Anhand eines Mailaustauschs zwischen dem Sohn der Angeklagten und der Tochter eines alten Bekannten ebendieser werden im Voranschreiten der Erzählung alle Teile gefunden und zusammengesetzt, die, über Familiengenerationen und Kontinente verstreut, am Ende einen Pakt, Milenas Versprechen, offenbaren. Gespannt lässt man sich dabei von New York nach Tel Aviv bis in die Schweiz führen – Orte, die dem Autor selbst gut vertraut sind. Passend ist auch der in Zürich (und Wien) ansässige Verlag Elster & Salis, wo Daniel Levin neben weiteren internationalen Autorinnen und Autoren seine deutschsprachige Heimat gefunden hat. Levin publizierte bereits mehrere Bücher auf Englisch, die alle im internationalen Spannungsfeld spielen und die Abgründe der Macht beleuchten. Milenas Versprechen (2021) ist der erste Roman, den Levin auf Deutsch verfasst hat. Auf eine Fortsetzung darf man gespannt sein.
Dank an Lucia Schöllhuber
- Daniel Levin: Milenas Versprechen. Zürich: Elster & Salis 2021. 292 Seiten, gebunden. 12.5 x 19 cm. 24 Euro.