
Der Berg ist für Zsuzsanna Gahse ein Feind. Übermächtig ragt er vor. Kein Wunder ist er das, Gahse mag Berge gar nicht. Sie lösen Furcht, Widerwillen, manchmal sogar Schrecken aus. Trotzdem hat sie mehrere Monate in, neben, mit ihnen verbracht und die Eindrücke über diese Ungetüme der Natur in 515 Miniaturen in dem Band Bergisch teils farblos, erschienen 2021 in ihrem Hausverlag Edition Korrespondenzen, festgehalten und die eigenen Widersprüche über den sprichwörtlichen Berg getragen.
So eine Fahrt durch die Alpen ist nicht jedermanns Sache.
Man kann, wie Gahse, Preisträgerin des Schweizer Grand Prix Literatur 2019, nicht in der Schweiz leben, ohne früher oder später den Bergen zu begegnen. Selbst in den Städten wie Zürich oder Bern mischen sie sich direkt und offensichtlich, wenn auch im Hintergrund, ins Stadtbild. In ihren Miniaturen beschäftigt sie sich also – natürlich – mit den Bergen, aber auch mit den Menschen, die da anzutreffen sind oder die mit auf eine Wanderung kommen. Gemächlich, reflektiert und bewusst multiperspektivisch nähert sich die Autorin so ihrem Untersuchungsgegenstand an. Diese Annäherung geschieht auch, weil es ab einem gewissen Punkt nicht mehr anders geht.
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Folglich gibt es einen Sperberhimmel, einen Himmel der Bergadler, einen Schafshimmel, einen für die Bergdohlen und für die Wölfe, es gibt eine Himmelskartographie für diese und jene.
Der Blick auf die Berge ist gerade zu Beginn des Bandes von Furcht geprägt. Der Fels ist eine Drohung, so wie er über den Strassen steht. Die initiale Furcht löst sich aber im weiteren Verlauf in Neugierde und Ehrfurcht auf. Zwar stürzen in der Fantasie wiederholt Menschen in die Tiefe und können nur noch als Leichen geborgen werden, aber der Berg verliert zumindest einen Teil seiner furchteinflössenden Eigenschaften. Gahse entwickelt zwar kein durchgehendes Narrativ, aber eine sanfte Fortbewegung in der Auseinandersetzung mit den Bergen. Prosaische und poetische Passagen (Miniaturen) wechseln sich dabei ab. Mal wird mehr erzählt, mal mehr reflektiert. Beeindruckend ist, wie viel Farbe, wie viel Vielfalt Gahse ihrem teils farblosen Gegenstand abgewinnen kann. Die wenigen Menschen, die vorkommen, zeichnet sie mit Charakter, ob es nun ihre Freund*innen oder Bergwirte sind, und auch die Tiere und Pflanzen, im Besonderen die Vögel, werden breit und ausgiebig dargestellt.
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Landschaftsmalerei. Ein Blick auf die Bergleiber, auf die Felsen, die Gletscher.
Die Sprache tut sich dementsprechend schnell als stilbildendes, zentrales Merkmal dieser Bergbetrachtungen hervor. Zsuzsanna Gahse schreibt in ungeheuer präzisen, fein komponierten Wortfolgen. Ihre Worte muten dabei an wie die Dinge, die sie beschreiben: monolithisch, mit Wucht und trotzdem fein ziseliert, bis in die letzte, vom Schnee bedeckte Kerbe. Man staunt ob der Zartheit, ob der poetischen Schärfe, die die Autorin für den einst gefürchteten Felsen immer wieder zu finden vermag. Und auch die Sprache selbst wird zum Gegenstand des Bandes, weil sie sich den Bergen sprachlich nähert, aber auch, weil die Sprache immer wieder Thema ist, zwischen ihr und ihren Freund*innen.
Die Miniaturen entwickeln schnell einen ganz eigenen, sogartigen Rhythmus. Dank der poetischen und motivischen Vielfalt eröffnen sich neue Zugänge, neue Betrachtungsweisen zu diesen jahrhundertmillionenalten Dingern. Bergisch mag teils eine farblose Farbe sein, wie sich aber im von der Dichterin aufgespannten Kosmos zeigt, kann diese Farbe in so vielen Zuständen umgesetzt werden, dass man sie danach kaum mehr von einer richtigen, farbenfrohen Farbe unterscheiden kann.
Dank an Nick Lüthi
- Zsuzsanna Gahse: Bergisch teils farblos. Wien: Edition Korrespondenzen 2021. 176 Seiten, Hardcover. 22 Euro