Anna Herzig im Gespräch mit Sarah Kuratle

Foto S. Hermann & F. Richter

Es gibt ein Gefühl, dass sich beinahe sofort einschleicht, wenn die ersten zwei, drei Seiten von Greta und Jannis gelesen sind: Hier passiert etwas. Und dem möchte ich folgen. Der Duft von selbst gebackenem Brot liegt in der Luft. Un diese Luft ist aufgeladen durch zwei Figuren, die menschlicher gar nicht sein könnten.
Ein sanftes Ausstrecken der Fingerspitzen und ein Danachtasten, wovon uns die österreichische Schriftstellerin Sarah Kuratle in ihrem ersten Roman erzählen möchte. Dass hier zart Funkelndes am Werk ist, Sätze so leicht und scheinbar mühelos daherkommen, ist kein Zeichen von Einfachheit, sondern ein Beweis literarischer Qualität.
Sarah Kuratle und Anna Herzig im Gespräch über Greta und Jannis – Vor acht oder in einhundert Jahren am Ende des einen und zu Beginn eines neuen Jahres.

So!

Liebe Sarah, wo würde ich Greta definitiv antreffen? Wo Jannis?

Auf einem Holzbänkchen. Dem letzten Bänkchen im Gebirge. Greta wartet dort, auch im Winter, stundenlang. Wo viel Erwartung schwer in der Luft liegt, findest du Greta ganz leicht. Sie wird dich sehen und sagen, früher war es einmal ein Versteck, aber nie ein Geheimnis.
Gib acht, dass du den Platz in der Mitte des Bänkchens freilässt. Für Jannis. Jannis sollst du nicht suchen, auf ihn musst du warten. Mit einem Rucksack voll schwerer Steine nimmt er den Schnee auf die leichte Schulter, das ist nicht viel, wird er sagen und sich die Flocken von den Kleidern klopfen.

Der Wind scheucht den Schnee auf, verweht ihn über die Zugstrecke zwischen Stadt und Gebirge. Ab dem Punkt, wo die alten Gleise tief begraben liegen, übersetzt der alte Postbus zwischen Bergen den Landstrich.

Was darf man mit Sprache machen?

Sprache darf anders sein, immer wieder anders, voller Leben. Zu formulieren darf sein wie ein Spiel mit losen Regeln. Wort für Wort wie ein Puzzle mit immer mehr, immer wieder anderen Teilen. Sprache darf ordnen und wild wuchern, bezeichnen und deuten, wie Strich und Farbe.

Wer spricht, darf singen. Wer schreibt, darf auch musizieren. Wenn Sprache ein Rahmen ist, dann darf sie immer mehr fassen als das, was wir eigentlich hinter Glas stellen, vermeintlich anschauen wollen. Sind Worte treffend wie Pfeile, dann denke ich: Was fliegt, fliegt mit dem Wind.

Vor Jahren mitten in der Nacht wollte sie Jannis nicht aufwecken, weil sie ihm nicht sagen konnte, was das mit uns ist, ein zwei Tanzschritte, Stillstand, oder was es hätte werden sollen, als sie zu ihm in die Stadt gereist war.

Ist es möglich, vom Leben zu schreiben, ohne an den Grenzen der Realität zu scheitern?

Wenn ich vom Leben schreibe, dann wandeln sich die Dinge manchmal. Beim Schreiben sitze ich auf einem Sessel, aber der Sessel hebt sich vom Boden. Dann ist ein Hut nicht ein Hut, sondern ein Hut mit Luchsohrpinseln, Feuervogelfedern, Bienen und Schneckenhäusern.
Die engen Grenzen der Realität setzen wir mit dem Verstand und dem, was wir aus der Erfahrung folgern. In der Fantasie gelten anderen Bezugspunkte, selbst im Leben, in dem, was wir fühlen oder ahnen, sind wir sehr viel weiter, glaube ich.

Wie ist dein Bezug zu Äpfeln?

Äpfel springen mir ins Auge. Wenngleich nicht aus Gold, sind sie Gold wert und ein Wert in meiner Familie, auch eine Versöhnung. Auf den Baum im Garten meiner Eltern, ist ein Zweig – oder in Wahrheit längst ein Ast – des Baums meiner Großeltern gepfelzt. Seine Äpfel sind wunderbar.
Der Apfelbaum in „Greta und Jannis“ hat sich dem Steinbock ähnlich gemacht. Mit seinen Ästen wie Hörnern erinnert er an den fast ausgerotteten Steinbock, den es wiederanzusiedeln gilt. Seine Früchte machen betrunken – oder bringen hervor, was die Figuren eigentlich wollen.

Vor acht oder in einhundert Jahren, es wäre nicht viel anders, der Sonneneinfall am 21. Dezember zwischen See, Bergrücken und Wäldchen ein schmaler Streifen, auf dem das kleine Haus sitzt, da ist es, sagt Cornelio zum Fahrer. Im Kalender fängt der Winter an, fängt die Nacht an zu weichen, Schnee zu härten, viele Wassertropfen in der Luft, an den Zweigen.

Welches sprachliche Ausdrucksmittel liegt dir gar nicht?

Die doppelte Verneinung, zum Beispiel: Greta und Jannis sind nicht nicht Geschwister. Wo immer sie keine Bejahung ist, ist sie verwirrend und rätselhaft für mich. Zugleich reizvoll, weil sie zwischen Ja oder Nein schwebt oder sogar über das Nein hinaussegelt.
Die doppelte Verneinung ist wie ein Zaubertrick für mich, der mich ins Stocken bringt, beim Schreiben, und ins Staunen, beim Lesen. Als wäre da ein Tuch, das aufdeckt und abdeckt zugleich oder etwas so umhüllt, dass alles andere wahr, wahrscheinlich oder wirklich wirkt.

Sarah Kuratle

Was kann für dich niemals koexisitieren?

Ich glaube, dass nichts ohne Weiteres, alles im Zwiespalt ist. Wir und unsere Welt sind gemischt. Eine Einteilung in Gut und Schlecht, Schön und Hässlich, Weiblich und Männlich greift zu kurz. Alles koexistiert, nichts ist eindeutig.
Was wir als Einzelne machen oder reden, tun und sagen wir nie allein. Da ist eine Geschichte, die mitspricht und fortwirkt. Da ist eine Natur und eine Gesellschaft, die uns vielfach ausmacht und überredet. Da ist ein Du und ein Wir, wann immer es ein Ich gibt.

Braucht es einen literarischen Kanon?

Ein literarischer Kanon scheint mir wie eine Reihe von Wegmarken. Ein Weg durch die lange und länger werdende Literaturgeschichte. All diese Wegmarken und selbst der Weg sind menschengemacht und zweckgebunden und nicht selten Ausdruck von Unterdrückung. Ein literarischer Kanon führt mich in die Irre, wenn ich nicht vom Weg abkomme, nicht auch dort lese, spüre und lerne, wo Wegmarken fehlen. Und indem wir darüber schreiben und sprechen, können und müssen wir immer wieder aufs Neue andere Wege weisen.

Danke Anna Herzig und Sarah Kuratle !

  • Sarah Kuratle: Greta und Jannis – Vor acht oder in einhundert Jahren. Salzburg: Otto Müller Verlag, 2. Auflage (2021). 232 Seiten, gebunden. 23,65 Euro. E-Book 17,99 Euro.

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