Anna Herzig im Gespräch mit Dilek Güngör

Foto © MabelAmber

In Vater und Ich von Dilek Güngör, einem in diesem Jahr viel besprochenen Roman aus dem Verbrecher Verlag, gekrönt mit einer Longlist-Platzierung beim Deutschen Buchpreis, erforscht die Protagonistin Ipek alles Mögliche und Unmögliche über die Nähe und Distanz zu ihrem Vater, über ihre Kindheit und über sich selbst.
Die Journalistin, Kolumnistin und Schriftstellerin Dilek Güngör hat mit Anna Herzig über den „Vatergeruch“, ob man den eigenen Eltern entwachsen darf, wie der Text sonst noch hätte erzählt werden können und einiges mehr gesprochen.
Ein wundervoll introspektives Gespräch darüber, das alles sein darf und nichts muss.

Hier!

Anna Herzig

Liebe Dilek, darf man über seine Eltern hinauswachsen?

Ja, man darf über seine Eltern hinauswachsen und man darf auch einfach sein Ding machen und gar nirgends hinwachsen. Ganz anders werden und ganz anders sein als die Eltern.
Als Kind war mir das aber unangenehm, besser Deutsch zu können als meine Eltern.

Jedes Kind begreift irgendwann, dass die Eltern doch nicht alles können und nicht alles wissen, dass sie nur so tun, als ob, und es selbst vielleicht nicht einmal merken. Das ist für viele Kinder ja eher befreiend, es ist eine Emanzipation. Aber ich habe mich nicht emanzipiert gefühlt, sondern beschämt. Ich glaube, als Kind mehr zu können als „die Großen“ ist deshalb so schmerzhaft, weil wir als Kind so fest an dem festhalten, wie etwas sein soll. Als Kind habe ich gedacht, wenn ich nicht bin, wie ich sein soll, dann stelle ich die Ordnung auf den Kopf, dann bin ich verkehrt. Dass man eine Ordnung durchaus auf den Kopf stellen kann, weiß man da noch nicht.

Auf unserem ersten gemeinsamen Foto sitzt du auf einem Stuhl, im hellen Hemd, und ich, das Baby, liege in deinem Arm. Dein rechter Arm hängt hinter der Rückenlehne, man sieht ihn kaum. „Als müsse er jemanden dahinter festhalten“, hatte Mama gesagt.

Hätte es für dich eine andere Möglichkeit gegeben, Vater und Ich zu erzählen? In reiner Dialogform zum Beispiel? Wie würdest du den Text aus der Perspektive des Vaters nennen?

Nein, ich hätte den Text nicht als Dialog schreiben wollen. Ich mag es, beim Schreiben ganz bei mir zu bleiben. Ich schreibe (wie die meisten) ganz alleine und denke alleine über den Text nach und verwerfe alleine. Ich gebe meine literarischen Texte erst zum Lesen, wenn ich selbst ein sicheres Gefühl habe. Das ganze Schreiben findet in meinem Kopf statt. Und obwohl die Geschichte von Vater und ich eine ausgedachte ist, ist sie doch wahr und könnte genauso stattfinden. Aber es würde mit meinem echten Vater keinen Dialog geben, ich käme auch nicht auf die Idee, einen zu erfinden. Das ist ja gerade der Reiz dieses Textes, dass ich ganz bei mir bleiben kann.

Wir treiben in Mamas Sätzen dahin wie in einem breiten Fluss, schwimmen manchmal ein paar Züge gegen den Strom und kommen kaum vom Fleck.

Was bringt dich zum Schreiben hin und was davon weg?

Regelmäßigkeit hilft mir, das Reinkommen ins Schreiben ist oft schwer (nach einem Wochenende oder Urlaub). Jetzt, wo unsere Kinder größer sind, kann ich besser durchgehend schreiben, also jeden Tag, wenn ich an etwas sitze. Früher haben mich Wochenenden rausgerissen und ich hab den ganzen Montag gebraucht, um wieder in meinen Text zu kommen.
Zweifel – Selbstzweifel und Zweifel am Text, das ist ja oft ein und dasselbe – bringen mich weg vom Schreiben. Dann rufe ich Freunde an, von denen ich weiß, dass sie mir die Angst und die Zweifel nehmen können.

Unterliegt die Wahrnehmung der eigenen Eltern einem konstanten Wandel?

Ja, sicher.

Ich hatte nichts falsch gemacht, auch du hattest nichts falsch gemacht. Trotzdem war es vorbei. Kein Huckepack mehr, kein Rangeln, kein Kitzeln, kein Kuscheln, keine Wasserschlachten.

Welcher Geruch ist untrennbar mit deinem Vater verbunden, welcher mit deiner Kindheit?

Einen Geruch verbinde ich weder mit meinem Vater noch mit meiner Kindheit. Es gibt Gerüche, die ich dir hier gar nicht nennen kann, weil ich sie nicht beschreiben kann, die Erinnerungen wecken. Aber ich habe keinen „Vatergeruch“.

Wir sprechen Dialekt, der immer dann besonders lebendig wird, wenn du mit Verwandten aus dem Dorf am Telefon bist. Ich verstehe ihn, spreche den Dialekt aber nicht so wie du. Überall fehlen mir die Worte, in deiner Sprache, in meiner Sprache und mit dir sowieso.

Inwiefern (oder auch nicht) stimmt das Sprichwort: „Education is key“?

Ich werde bei Lesungen manchmal gefragt, ob der Vater und Ipek deshalb so sprachlos miteinander sind, weil die Tochter studiert hat und der Vater nicht. Mich verblüfft diese Frage immer.
Education mag key für vieles sein, für Innigkeit und Nähe zwischen zwei Menschen ist sie es nicht.

Danke Anna Herzig und Dilek Güngör!

  • Dilek Güngör: Vater und ich. Berlin: Verbrecher Verlag 2021. 104 Seiten, Hardcover. 19 Euro

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