Theresa Rath: Liberdade (Verlag Periplaneta)

Foto © LhcCoutinho

Theresa Rath, deutsche Juristin und Klimaschützerin, leistet mir ihrem Debütroman Liberdade einen wichtigen Beitrag. Physische häusliche Gewalt ist ein Thema, das viel Aufmerksamkeit bekommt. In Liberdade aber geht es um emotionale Abhängigkeiten, um verbalen und psychischen Terror, Formen der Gewalt, die oft gar nicht als solche wahrgenommen bzw. kleingeredet werden, weil sie normal erscheinen oder gar wie Liebe. Der oft gehörte Satz: „Er hat nicht mal die Hand gehoben, was ist denn so schlimm?“ wird in dem Roman ad absurdum geführt.

„Ist seine Liebe Gewalt?“, fragt sich die angehende Medizinerin Anna. Sie steckt in einer langjährigen, inzwischen lieblos gewordenen, sie dominierenden Beziehung. Sie flieht aus ihrer vermeintlich heilen Welt in Deutschland nach Rio de Janeiro und begibt sich in ein Liebesabenteuer mit dem jungen Argentinier Gabriel. Gabriel führt sie in eine Welt, die ihr frei und leicht erscheint. Sie überwindet tiefsitzende Ängste, verlässt ihre Komfortzone, überschreitet eigene Grenzen, bis sie in das andere Extrem verfällt, in einen Sog aus Drogen, Kriminalität und emotionaler Abhängigkeit. Anna droht sich selbst zu verlieren.

Theresa Rath setzt sich in Liberdade mit dem Phänomen der narzisstischen Persönlichkeitsstörung auseinander. Sie geht Verhaltensmustern und Charaktereigenschaften auf den Grund, die entsprechend veranlagte Menschen in die Arme von Narzissten treiben können. Anna kommt aus einem intakt scheinenden Elternhaus. Sie selbst ist zielstrebig und erfolgreich. In Wahrheit wirken zerstörerische Kräfte in der Ehe ihrer Eltern, die gleichen erfährt sie in ihren Beziehungen. Sie sehnt sich nach Liebe und glaubt, um diese zu bekommen, müsse sie von anderen alles aushalten. Ihre Minderwertigkeits- und Schuldkomplexe sind verantwortlich dafür, dass sie sich immer wieder an Männer bindet, die sie dominieren und unterdrücken.

Ich glaube, ich habe einen Großteil meines Lebens damit verbracht, mich zu verabscheuen, denn ich habe immer geglaubt, nicht liebenswert zu sein. Trotzdem habe ich mich immer nach einer Liebe gesehnt, die ich in meinen Augen nicht verdient hatte. Ich sah es als selbstverständlich an, dass mir diese Liebe nur gegeben wurde, wenn der andere sie mir gerade geben wollte, gewissermaßen als ein Almosen, und dass der Preis dafür war, alles auszuhalten, was der andere mir antun wollte.

Theresa Rath ist eine analytische Schreiberin, ihre Protagonistin eine kluge, selbstreflektierte junge Frau, die sich zu jedem Zeitpunkt den Ursachen und der Wirkung ihrer Handlungen bewusst ist. Und dennoch kann sich Anna dem Abwärtssog nicht entziehen. Beim Lesen kommt das Gefühl auf, die Autorin demontierte ihre Protagonistin bis zur völligen Zerstörung –  es ist fast ein Zuviel: Annas Drogen- und Alkoholproblem, ihre Essstörung, die Depression, ihre Abhängigkeit von Männern, und es kommt zu einem Fall von Missbrauch. Die Autorin statuiert ein Exempel an Anna, um sie anschließend Schritt für Schritt wie in einer Therapie wieder aufzubauen.

Die Abhängigkeit, die so viele von uns mit Liebe verwechseln, ist mächtiger als alles, was ich kenne. Dieser Abhängigkeit zu entsagen, kommt einem Entzug gleich. Ich habe es selbst erlebt.

Theresa Rath verfolgt eine Agenda mit diesem Roman. Sie klärt auf. Deshalb gehört Liberdade in die Hände von vielen jungen Frauen, die sich in entsprechenden Lebenssituationen finden oder gar nicht erst in diese geraten sollen.

Liberdade ist das dritte Buch nach dem Gedichtband Kleines Mädchen mit Hut (2012) und der Kurzgeschichtensammlung Die Ketten, die uns halten, das von Theresa Rath im Berliner Verlag Periplaneta erschienen ist – einem umtriebigen Verlag, der sich auf die Fahnen schreibt, dem Zeitgeist zu trotzen und mit Herzblut und Begeisterung Bücher zu verlegen. Neben dem Verlag betreibt Periplaneta ein Literaturcafé mit Verlagsbuchhandlung, das Silbenstreif Label & Studio für Video- und Audioproduktionen und das Independent-Magazin Subkultur.

Dank an Nikoletta Kiss

  • Theresa Rath: Liberdade. Roman. Berlin: Verlag Periplaneta 2021. 267 Seiten, Hardcover, 22 x 14 cm. 20 Euro. E-Book 12,99 Euro

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