Anna Herzig im Gespräch mit Katharina Volckmer

Der in England lebenden Schriftstellerin Katharina Volckmer ist mit ihrem hotlistgekrönten Debütroman Der Termin (im Original The Appointment 2020), erschienen im gerade ein Jahr alten, staunenswerten Berliner Kanon Verlag, etwas wirklich Außergewöhnliches gelungen: Sie zeigt, dass es ProtagonistInnen und deren AutorInnen gibt, die nicht nur den Mut haben, sich mit kollektiv unangenehmen Themen auseinanderzusetzen anstatt Convenience-Literatur zu schreiben, sondern auch der Sprache und gleichsam der Spielwiese des kaum ergründlichen Kosmos Literatur eine neue Dimension zu verleihen – die der schonungslosen Offenheit und des unersättlichen Fragenstellens. Ein Roman, gespickt mit derart klugen Sätzen, dass es einen beinahe selbst auf eine terminlich behaftete Couch bringt. Das Gespräch mit der Autorin ist der Versuch einer faszinierenden Betrachtung.

Und los!

Katharina Volckmer (Foto © Liz Seabrook)

Liebe Katharina, woher kommt die Scham?

Ich glaube, die Scham ist ein Unterdrückungsmittel, besonders von weiblichen Körpern. Das hat für mich viel mit der Entfremdung vom eigenen Körper oder sogar der Angst davor zu tun, und es ist Scham, die zwischen uns und dem eigentlichen frei sein steht.

Haben Sie schon einmal versucht, von jemandem grundlegende Achtung als Mensch einzufordern?

Dein Text erzählt von deutschen Arten und Unarten, deutscher Schuld und zutiefst Deutschem. Was ist für dich so gar nicht deutsch an Deutschland und woran leidet Deutschland zurzeit am meisten?

Da fallen mir viele Dinge ein. Was mich immer verwundert, ist der vollkommen perverse Umgang mit der Natur. Darunter leidet das Land ganz sprichwörtlich und es sagt, glaube ich, viel über die allgemeine Psychopathologie eines Landes aus, wenn man so etwas wie Steingärten verbieten muss – das hat mich immer fasziniert, wie man sich in Deutschland gern als naturaffin darstellt, aber eigentlich nichts lieber macht, als Flächen einzubetonieren und Schweine zu züchten. Das muss ein aus der Romantik stammender Drang sein, die Natur zu bezwingen, das finde ich immer verstörend. Und gar nicht deutsch ist vielleicht die Tatsache, dass die Leute nicht wie im Klischee ordentlich und organisiert, sondern eigentlich relativ wahnsinnig sind. Das kann ich schwer erklären, aber für mich waren die „neat and tidy Germans“ immer nur die Oberfläche von etwas, was darunter ganz anders ist.

Eine naheliegende Frage: Weshalb hast du deinen Roman The Appointment nicht selbst übersetzt?

Das war für mich immer klar, dass ich das nicht machen wollte. Mein Deutsch hat schon ziemlich gelitten und es war für mich nie Teil meiner Arbeit als Künstlerin (meiner practice) mich selbst zu übersetzen. Ich bin Milena Adam unendlich dankbar für ihre wundervolle Arbeit, sie hat mir viel beigebracht – das hätte ich selber so nie hinbekommen.

Warum habe ich nicht im rechten Moment die Beine breit gemacht, mehr auf meinen Körper geachtet und einen dieser Männer mit lilafarbenen Magnolienbäumen im Vorgarten geheiratet? Ich könnte so eine Frau sein, die in schicken Cafés sitzt und sich um nichts in der Welt sorgen muss.

Braucht Sprache (in der Literatur) Regeln?

Ja, damit man sie hinterher brechen kann.

Wo liegt der Reiz bei dem/der namenlosen Protagonist/in? Kann es passieren, dass die erzählende Stimme dadurch an Identität einbüßt oder gelingt es im Gegenteil, dem Text mehr Freiheit zu ermöglichen, eine breitere sprachliche Spielwiese sozusagen?

Strictly speaking gibt sie sich ja am Ende selbst einen Namen und es war mir sehr wichtig, dass sie bis dahin keinen hat, weil ihr dieser Name nichts mehr bedeutet. Sie büßt damit nur den Teil ihrer Identität ein, der sie ohnehin nicht mehr interessiert. Und ich glaube, dass ihre Namenlosigkeit auch einen wichtigen Kontrast zu Dr. Seligman formt, die konnten nicht beide einen Namen haben.

Ist es erlerntes oder aufgezwungenes Verhalten, dass sich Frauen eher für sexuelle Fantasien „schämen“ als Männer?

Absolut. Das ist Teil der Unterdrückung, die wir nach wie vor erleben – meine Protagonistin treibt das mit ihrem „sexy Hitler“ natürlich etwas auf die Spitze, aber ich glaube, dass es nach wie vor als problematisch wahrgenommen wird, wenn weibliche Körper ihre Sehnsüchte und Bedürfnisse vor die von männlichen Körpern stellen.

Ich weiß, dass Sexspielzeuge süchtig machen können, dass man abstumpft, wenn man sich zu viele von diesen kostenlosen Orgasmen gönnt, und echte Interaktion ihre Bedeutung verliert. Aber ich habe mir immer einen Brieffreund gewünscht, Dr. Seligman, als Kind habe ich jedes Mal auf diese Annoncen geantwortet, aber nie hat jemand zurückgeschrieben.

Braucht es „Triggerwarnungen“ in der Literatur?

Das kann ich ehrlich gesagt schwer beurteilen, persönlich gehe ich nicht in Filme, wenn man dafür über 18 sein muss, weil ich mit unserer modernen Sucht nach Gewalt nicht gut klarkomme (Sex ist irgendwie fast von der Leinwand verschwunden … sagt vielleicht auch etwas über unseren kollektiven Geisteszustand aus) und ich kann mir vorstellen, dass es Menschen bei Literatur bei manchen Themen vielleicht ähnlich geht. Ich glaube auch, dass Menschen heute schon eine völlig andere Erwartung an Bücher haben als noch vor 5 Jahren und wir noch im Prozess sind zu verstehen, was sich da wirklich verändert hat.

Wie denkst du, haben die letzten 20 Monate den Literaturbetrieb beeinflusst? Wie nimmst du Schreibende und Lesende wahr, merkst du Veränderungen?

Ich würde vermuten, dass die Dinge noch langweiliger geworden sind, als sie es eh schon waren. Es gibt eine noch größere Sehnsucht nach dem „guten Leben“ und alle reden vom Gärtnern und Brotbacken und sind innerhalb von anderthalb Jahren wahnsinnig gealtert. Ich glaube, es ist an der Zeit, die Wollsocken wieder auszuziehen und sich wieder ins Leben zu wagen und hoffentlich bleiben wir von einer Flut an Lockdown-Prosa verschont. Um Kunst zu machen, brauchen wir einander auf allen Ebenen – das ist vielleicht das schönste, was wir aus den letzten 20 Monaten lernen können.

Danke an Anna Herzig und Katharina Volckmer!

  • Katharina Volckmer: Der Termin. Aus dem Englischen von Milena Adam. Berlin: Kanon Verlag 2021. 128 Seiten, gebunden. 20 Euro (D). E-Book 16,99 Euro.

Interview im The Guardian mit Katharina Volckmer.

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