Katharina Volckmer: Der Termin / Kanon Verlag im Gespräch

„Ich will Sie nicht provozieren, Dr. Seligman, erst recht nicht jetzt, da Sie ihren Kopf zwischen meinen Beinen haben, aber …“ – wenn die namenlose Ich-Erzählerin in Katharina Volckmers Romanerstling Der Termin untenrum frei und umgeben von samtbezogenen Wänden einer Londoner Privatpraxis in Bernhard’scher Manier zum Monolog ansetzt, beginnt es mit sexuellen Fantasien rund um Adolf Hitler. Exkurse führen zu japanischen Sexrobotern oder auf eine dreckige Toilette, wo sich die Affäre mit dem verheirateten Mann K entspinnt, der für jede Spielart zu haben ist.Dazwischen schiebt sich ein Angewidert-Sein – auf den verklemmten früheren Therapeuten Jason, den Arbeitskollegen, der samt heteronormativer Vorstellungen seine Liebe gesteht und jede Menge Hass – auf Deutschland, die Mutter und sich selbst. Mit Grauen erinnert sie sich, wie sie als Mädchen in der „Badeanstalt“ eine Umkleidekabine mit der Mutter teilen musste:

Mussten Sie als Kind mit Ihrer Mutter schwimmen gehen, Dr. Seligman? Mussten auch Sie sich mit einem Elternteil in so eine winzige Umkleidekabine quetschen und sich fragen, wie lange es wohl noch dauern würde, bis Ihr eigener Körper genauso aussehen würde? Mit dünner werdendem Schamhaar und kleinen Warzen unter den Achseln? Ich weiß nicht, warum ich nicht einfach draußen warten durfte wie all die anderen Kinder.

Obszönitäten und Rasereien mäandern hier nicht ziellos über die Seiten. Was sich über das Haupt des schweigenden Gegenübers ergießt, ist die unerhörte Erzählung einer zwischen Komik und Verzweiflung changierenden Odyssee, gefangen im Rahmen kollektiver deutscher Schuld, Scham und einem Körper, der nicht passt.

Hochtourig wird die Suche einer „bellenden Katze“ beschrieben – nach einer kulturellen und sexuellen Identität, in der man Nazivergangenheit und Penisneid in einem Befreiungsschlag hinter sich lassen will. Und zwar keineswegs beim Analytiker auf der Couch, wie man bei der Lektüre lange geneigt ist zu glauben.
Das Erbe des Großvaters, der an der letzten Station vor Auschwitz als Bahnhofsvorsteher dafür zu sorgen hatte, „dass alles reibungslos verlief und die leeren Züge ohne Zwischenfälle zurückkehren konnten“, soll in eine Geschlechtsumwandlung investiert werden. Der Auftrag an Dr. Seligman, den jüdischen Chirurgen, lautet: „Sie geben einer deutschen Frau einen jüdischen Schwanz.“

Katharina Volckmer

Die Umwandlung einer deutschen Patientin in einen jüdischen Mann ist auch literarisch ein beispielloser Eingriff. Genauso klar wie sich die Idee als Groteske darstellt, tritt die Ausweglosigkeit des Versuchs, sich seiner Vergangenheit zu entledigen, mit einer Wucht hervor, die einen die Luft anhalten lässt. Debattenbegriffe sucht man dabei vergeblich. Beim virtuosen Demontieren unhinterfragter Ordnungen und einengender Kategorien nennt Katharina Volckmer die Dinge vielmehr beim Namen. Die Themen Identität und deutsche Geschichte werden frontal angegangen und wie im Vorbeilaufen noch eine Satire gesellschaftlicher Themen nachgeschoben. Das alles geschieht so radikal, dass deutsche Verlage vielfach zögerlich auf den Text reagierten. Selbst als die 1987 geborene Autorin, die ihr Debüt nicht in ihrer Muttersprache verfasst hat, damit schon international Furore gemacht hatte und Ian McEwan den schmalen Band als „brillant“ feierte, dauerte es noch, hierzulande einen Verlag zu finden. Der Berliner Kanon Verlag mit dem Signet des Affen wagte sich schließlich mit Milena Adam und der obligaten Chuzpe an die Übersetzung, wenngleich ohne den Original-Untertitel The Story of a Jewish Cock.

Dank an Lucia Schöllhuber

Im Gespräch mit dem Kanon Verlag

Gunnar Cynybulk

Warum haben Sie sich bei der Einreichung zur Hotlist 21 für den Roman Der Termin von Katharina Volckmer entschieden? Was macht das Besondere des Buches aus?

Weil es das erste Buch ist, das ich für Kanon akquiriert habe, weil kein anderer deutschsprachiger Verlag das Werk verlegen wollte und weil es somit zu einer Art Paradigma für unsere Neugründung wurde. Es ist ein radikales Buch, das die Tabus unserer Gesellschaft angeht und von Schuld und Scham handelt. Vor allem aber ist es in einer klingenden Sprache geschrieben, und zwar auf Englisch, obwohl die Autorin aus Deutschland stammt. Milena Adam hat sehr treffend übersetzt.

Beschreiben Sie Ihren Verlag in drei Worten.

Qualität – Schönheit – Spaß

Was schätzen Sie am unabhängigen Verlegen am meisten, was am wenigsten?

Ich schätze unsere Verbindlichkeit, dass wir Zeit für Autorinnen und Autoren und ihre Texte haben und dass es ein kurzer Weg von einer Idee zur Tat ist.

Welche Begegnungen mit Buchmenschen haben Sie besonders geprägt?

Als ich mal ein halbes Jahr beim feinen New Yorker Verlag Farrar, Straus & Giroux arbeitete, durfte ich im Büro des pensionierten Cheflektors Robert Giroux sitzen. Es war ein sehr kleines, etwas herabwürdigendes Büro im letzten Stock des Verlagsgebäudes am Union Square, staubig. Ich durfte mitarbeiten an der Jubiläumsanthologie des Verlags und erkannte, wie viele wichtige Autorinnen und Autoren Giroux gefunden und gefördert hatte. Singer, Sontag, Canetti und so fort.

Was wünschen Sie sich und der Buchwelt für die Zukunft?

Prosperität und Vitalität.

Welche unabhängigen Buchhandlung empfehlen Sie?

Zwei Beispiele für viele wunderbare Sortimenterinnen und Sortimenter: Anna Jellers Buchhandlung in Wien und Uslar & Rai in Berlin.

Die Redaktion morehotlist dankt Gunnar Cynybulk für das Gespräch!

  • Katharina Volckmer: Der Termin. Aus dem Englischen von Milena Adam. Berlin: Kanon Verlag 2021. 128 Seiten, Hardcover. 20 Euro.
    Dieses Buch ist in der Lieblingsbuchhandlung erhältlich oder hier.

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