
In den letzten Jahren sind im Zürcher Verlag INK PRESS drei Bücher von Elvira Dones in deutscher Übersetzung erschienen – interessanterweise in (fast) umgekehrter Reihenfolge zu ihrer ursprünglichen Veröffentlichung. Der von Dones noch auf Albanisch geschriebene Band Verbrannte Sonne kam auf Deutsch erst kürzlich heraus, während die beiden neueren, von der Autorin in ihrer neuen Sprache Italienisch verfassten Romane Hana (Vergine giurata, 2007) und Kleiner sauberer Krieg (Piccola guerra perfetta, 2011) bereits vor ein paar Jahren erschienen sind. Auf Deutsch kann man die Autorin und ihre Entwicklung innerhalb ihres eigenen Werkes also gewissermaßen rückwärts beobachten. Ganz bewusst habe ich mich auch an diese auf Deutsch vielleicht nicht intendierte, aber doch sehr spannende Perspektive des zeitlichen Rückwärtslesens gehalten.
Auffallend ist auch in diesem Rückwärtsmodus, dass Dones ihren Themen treu geblieben ist. Die Autorin erzählt von Albanien und seinen Menschen, die, und das gehört auch zu diesen Geschichten dazu, überall auf der Welt verstreut sein können. In Verbrannte Sonne erzählt Dones von der albanischen Mafia, von Kriminalität und Zwangsprostitution. In Kleiner sauberer Krieg vom Kosovokrieg 1999. In Hana vom alten Brauch der Schwurjungfrauen, der es Frauen erlaubt, als Mann zu leben, sollte eine Familie keine männlichen Nachkommen haben.
Obwohl die drei Romane thematisch also weit auseinandergehen, eint sie doch die Unerbittlichkeit, mit der Dones ihre Untersuchungsgegenstände erzählerisch angeht und auslotet. Anstelle einer Besprechung der drei einzelnen Bände möchte ich also in der Folge versuchen, an drei zentralen Themenbereichen aufzuzeigen, wie sich das erzählerische Werk von Dones entwickelt hat, aber auch, wo die gleichen Stränge beobachtbar sind und wie und ob sie sich über die Zeit auseinanderentwickelt haben. Es folgt ein Querschnitt durch die drei auf Deutsch verfügbaren Romane von Elvira Dones anhand der Themen Gewalt, Schreiben und Zeit.
Die Gewalt
Man kann nicht über das Schreiben von Elvira Dones sprechen, ohne über Gewalt zu sprechen; die Gewalt findet sich als zentrales Element in jedem ihrer Werke wieder. Genauso unerbittlich wie Dones auf ihre Figuren und auf ihre Themen blickt, genauso unerbittlich ist die erzählerische Beziehung zur Gewalt. Gerade in Verbrannte Sonne und Kleiner sauberer Krieg ist die Gewalt oftmals nur schwer zu ertragen, weil sie unbeschönigt und mit aller Härte auf ihre Figuren trifft.
In Verbrannte Sonne benutzt Dones Gewalt als erzählerisches Mittel. Die Gewalt und ihre Beschreibung wird im Erzählkontext veralltäglicht, weil sich darin wiederum das Leben der zentralen Figuren, der zur Prostitution gezwungenen jungen Frauen von „Dortunten“, spiegelt. Die Gewalt ist das ausgehende Moment für den ganzen Text, was sich in den ersten zwei Bildern zeigt: Im ersten Bild ist eine der Figuren, Leila, bereits tot, spricht aus dem Off durch ihr Tagebuch in die Gegenwart hinein, während sie von ihrem Vater im zweiten Bild im Sarg von „Dortoben“ nach „Dortunten“ zur Beerdigung gebracht wird. Bereits da wird also unmissverständlich klar, dass es aus dieser Gewalt kein Entkommen geben kann, sie ist unumstössliches Faktum. Die Gewalt ist ein konstituierendes Element dieser Welt. Eines, dem man auch beim Nacherzählen nicht entrinnen kann.
In Kleiner sauberer Krieg erfüllt die erzählte Gewalt eine fast schon gegenteilige Rolle, sie erzeugt nicht Empathie mit den von ihr Betroffenen, sondern sie erzeugt eine Dissonanz zwischen den Figuren und dem Erzählten. Der ironische Titel des Bandes kann da bereits als wegweisend betrachtet werden. Der Kosovokrieg mag kaum 60 Tage gedauert haben, von den Hauptfiguren des Romans wird es aber nur eine lebend – und unter welchen Umständen – über die Grenze nach Albanien schaffen. Die Gewalt und ihre Schilderungen muten schon fast absurd an, weil sie dermassen explizit und grausam sind, dass man sich wirklich nur wünschen möchte, es wäre ein Film von Quentin Tarantino und nicht literarisch erarbeitete Tatsächlichkeit. Die Gewalt dient Dones wiederum literarisch als Mittel zum Zweck. Sie ist ein zwingend notwendiges erzählerisches Vehikel, dem sich der Band unterordnet. Nur in der Abtrennung der Figuren von der Gewalt kann diese in all ihrer Sinnlosigkeit entstellt werden.
In beiden Bänden ist aber spannend zu beobachten, dass die Gewalt nie psychologisiert wird. Gleichzeitig wird sie aber dokumentarisch genutzt, also nicht durch den erzählerischen Blick selbst verurteilt, sondern immer nur innerhalb der geschilderten Perspektive. Hana entpuppt sich dabei als Gegensatz, da explizite Gewalt vordergründig kaum vorkommt. Die Geschichte von Hana, die nach dem Tod ihres Onkels als Schwurjungfrau zu Mark und für die nächsten zehn Jahre so leben wird, und ihrer langsamen Emanzipation aus diesem Schwur aus Pflichtgefühl heraus, verinnerlicht die Gewalt. Wenn sie vorkommt, dann ist es von Hana an sich selbst gerichtete Gewalt, da sie sich mit eiserner Härte und Strenge begegnet und sich so ein einsames Leben in den Bergen beschert.
Das Schreiben
Im Kosmos von Elvira Dones jetzt aber nur Gewalt verorten zu wollen, würde ihrem Werk nicht gerecht werden. Das Schreiben als Mittel, um die Gewalt aufzubrechen oder zumindest in der eigenen Reflexion zu verhandeln, kommt in allen drei Bänden vor und wird in Verbrannte Sonne explizit thematisiert: «Wenn du niemanden zum Reden hast, ist es besser als nichts, mit den karierten Blättern eines Schulhefts zu reden.»
Das Schreiben bietet die Möglichkeit zur Konversation, einer Gesprächspartner*in. Auch wenn es keine „schönen Dinge“ gibt, von denen man, und in diesem Fall Leila, berichten könnte, so wird doch der Ausbruch aus der eigenen Welt zumindest in Stücken möglich. Das Schreiben erlaubt es zudem, die Welt nach eigenen Mitteln zu gestalten:
Meiner Ansicht nach gibt es einen großen Unterschied. Zwischen den gesprochenen und den geschriebenen Wörtern, meine ich. Die, die du schreibst, kannst du ausradieren, wenn sie dir nicht gefallen, und ein Kreuz drauf stellen. Du kannst das Blatt zerreißen. Die hingegen, die du aussprichst, kannst du von dem Augenblick an, in dem sie aus deinem Mund kommen, um keinen Preis der Welt mehr zurücknehmen.
In Kleiner sauberer Krieg findet sich – ähnlich wie bei der Gewalt – ein Kontrast in der Konzeption des Schreibens. Das Schreiben ist ein dokumentarisches Mittel – ein Modus des Schreibens, den Dones selbst für Verbrannte Sonne nutzt, das sie bewusst als „nicht-fiktiven“ Roman bezeichnet: «Es wird Zeit, dass du und ich Tagebuch führen, sonst werden wir gewisse Dinge vergessen. Irgendjemand muss doch eines Tages von all dem hier erzählen können, oder etwa nicht?»
Das Schreiben bietet in dieser Form keine Ausflucht mehr, sondern wechselt in den Modus der Dokumentation. Auch in Hana dient das Schreiben der Dokumentation. In ihrem Tagebuch hält Hana ihr ganzes Leben fest, sie kann sich darin genauer ausdrücken als in gesprochener Sprache und so bildet Hanas Tagebuch gegen Ende dann auch die Brücke aus dem selbst gezimmerten Gefängnis. Durch das Weiterreichen an einen Freund wird es Hana möglich, in ein neues, befreites Leben zu treten und alte Lasten, verkörpert durch das Tagebuch, abzulegen. Die Dokumentation wird zum Befreiungsmoment.
Die Zeit
Wenn man nun also drei Romane von einer Schriftstellerin liest, zwischen denen ganze zehn Jahre liegen, dann lässt sich beobachten, wie sich ihr Schreiben verändert hat. Diese Veränderung über die Zeit lässt sich aber auch in den Büchern selbst festmachen. Verbrannte Sonne steht in der Zeit, die Zeit bewegt sich eigentlich nicht und auch die Figuren entwickeln sich nicht, das (fiktionale) Geschehen wurde künstlich gestoppt und für einen Querschnitt sehr ausführlich beleuchtet. In Kleiner sauberer Krieg sind es gut 70 Tage, die erzählt werden, während es in Hana ein ganzes Leben ist (Technisch gesehen ist Hana der mittlere der drei Romane, Sie verzeihen mir den kleinen argumentatorischen Kniff).
So wie sich die Zeit in ihrem Werk ausdehnt, so zieht sich das erzählerische Instrumentarium zu, welches in Hana seinen verdichteten Höhepunkt findet. Die Sprache bleibt über die Zeit konsistent, sie ist direkt und handlungsorientiert. Man kann aber klare Unterschiede feststellen, was zu grossen Teilen auch Verdienst der beiden Übersetzer ist. Florian Kienzle, der Verbrannte Sonne aus dem Albanischen übersetzt hat, hat den Roman in ein rohes, brutales Deutsch gebracht, während sich in den beiden von Adrian Giacomelli aus dem Italienischen übersetzten Romanen schon deutlich poetischere Anleihen und mehr Verdichtungen finden.
Wer in den Kosmos Dones eintauchen möchte, derjenigen empfehle ich, mit Hana zu starten. Nicht nur, weil es der dichteste, literarisch anspruchsvollste der drei Romane ist, sondern weil in diesem die erzählerischen Mittel der Autorin am eindrücklichsten zu beobachten sind. Und auch, das sollte nicht ausser Acht gelassen werden, weil Hana das zugänglichste der drei Werke ist, das nicht vordergründig von Gewalt übertüncht ist. Für die anderen beiden, ja, da empfehle ich einen starken Magen oder Schonkost in den darauffolgenden Wochen. Leichte Kost sind sie nicht, aber dies darf auch nie der Anspruch sein, der an gute Literatur herangetragen wird.
Dank an Nick Lüthi von BookGazette
- Elvira Dones: Verbrannte Sonne. Aus dem Albanischen von Florian Kienzle. Zürich: Ink Press 2020. 440 Seiten, Broschur.
- Elvira Dones: Kleiner sauberer Krieg. Aus dem Italienischen von Adrian Giacomelli. Zürich: Ink Press 2018. 200 Seiten, Broschur.
- Elvira Dones: Hana. Aus dem Italienischen von Adrian Giacomelli. Zürich: Ink Press 2017. 252 Seiten, Broschur.