Anna Herzig im Gespräch mit Katherina Braschel

Foto edition mosaik

Von der Schriftstellerin und Lyrikerin Katherina Braschel beobachtet zu werden, ist ein Glücksfall. So wie Sternschnuppen sehen, nur besser. Ein Gespräch mit der österreichischen Autorin über ihren vielfach beachteten und „quer gestellten“ Text es fehlt viel, der 2020 als Braschels erstes Buch („Dieser Text ist ein Versuch“) in der sehr entdeckenswerten Salzburger edition mosaik erschienen ist. Braschel ist eine Künstlerin, so vielfältig wie ihre bereits erhaltenen Auszeichnungen: Förderpreis der Rauriser Literaturtage (2019), Wortmeldungen-Förderpreis (2019), Sonderpreis für Lyrik (2018) u.v.m.

Liebe Katherina, kann das Ich beim Dokumentieren authentisch bleiben?

Kommt auf das Ich an. Ist es ein fiktives Ich, dann ja. Da entscheide ich als Schriftstellerin über eine Figur, ob diese authentisch ist und woran ich das festmache, mitsamt all den Brüchen des (scheinbar) Authentischen, die das beinhalten kann. Man kann dann darüber diskutieren, ob einzelne Dinge, Handlungen etc. innerhalb der Erzählung für dieses Ich realistisch sind und zu verschiedenen Lesarten kommen, aber das ist auch etwas anderes als Authentizität.
Reden wir von einem realen Ich, von mir, von dir, dann würde ich sagen, nein. Aber da sind wir halt mitten im Authentizitäts-Diskurs und müssten eigentlich diesen Begriff erst einmal für uns klären.

Wenn ich deine Frage auf mein Buch beziehe, auf die Art, wie in ihm versucht wird zu dokumentieren, dann würde ich sagen, es ist vielleicht der Versuch einer Ehrlichkeit (meinetwegen einer Authentizität) in dem Wissen, dass dieser nicht glücken kann und wahrscheinlich auch gar nicht glücken soll. Deshalb war es mir wichtig, gleich zu Beginn des Buches klarzustellen, dass es so etwas wie Objektivität nicht geben kann, und dieser oft behaupteten Objektivität gerade im dokumentarischen Bereich eine radikale Subjektivität gegenüberzustellen.

Foto © Mark Daniel Prohaska

Wie muss Sprache für dich gestaltet sein, damit du dich darin wohlfühlst?

Puh, das finde ich schwierig zu beantworten, vielleicht wegen der passiven Formulierung, weil wir ja als Schreibende Sprache selbst (mit-)gestalten. Wenn ich schreibe, muss ich mir das glauben, muss mir meine eigene Sprache glauben, auch wenn die immer wieder verschieden aussieht.

Als Leserin muss für mich innerhalb eines Textes die Sprache nachvollziehbar sein, zum Beispiel. Wenig wirft mich beim Lesen so sehr raus wie ein merkbar schlechtes Lektorat oder ein Text, bei dem ich das Gefühl habe, es geht hauptsächlich um eine Leistungsschau. Ich mag Texte, die mich überraschen, inhaltlich und/oder formal. Und (surprise) Texte, die mich berühren. Was genau eine Berührung auslöst, schwankt, aber ist bei mir grundsätzlich sehr breit. Mich berührt die Lyrik von Alke Stachler, mich berühren die autobiografischen Romane von Maya Angelou, mich berühren aber auch die sogenannten „Tankstellen“-Sexromane, weil die so unglaublich ehrlich sind in ihrem Ziel und mir die völlig absurde sprachliche Überladung in ihnen immer wieder eine große Heiterkeit bringt.

Was ich insbesondere im Sprechen nicht aushalte ist Namedropping (was nicht heißt, dass mir das nicht auch passiert), unreflektierte Raum(weg)nahme und exkludierendes Sprechen.

Ich denke nach.
Ich scheitere.
Was soll ich dokumentieren?

Was gibt dir Wien und was Salzburg?

Wien: Ein Zuhause. Einen Ort, an dem ich verschwinden kann, wenn ich will, ohne dabei unterzugehen. Möglichkeiten. Auseinandersetzungen. Ottakringer Luft zum Atmen. Die richtige Mischung aus Neuem und Bekanntem. Ehrliches Gschissensein. Unerwartetes. Und Straßenbahnen, viele schöne Straßenbahnen.

Salzburg: Eine Reibfläche. Einen Erinnerungsstausee. Verstreute Freund*innen. Eine – um ehrlich zu bleiben auch inspirierende – Widerwärtigkeit. Zu viele zu nahe Berge. Brustenge. Meinen Verlag. Fassungslosigkeiten. Die einzige Katze, die ich wirklich mag. Immer wieder selbstverschuldet zu volle Tage. Den Grundstein meines Hangs zum Morbiden.

Das ist ein Schreiben mit Zweifel.
Ich würde gerne schreiben: Warten Sie nicht auf einen Spannungsbogen. Es geht nicht darum.
Auch das gehört in diesen Text.

Was wurde vom Ich nicht dokumentiert, wie wählt es aus?

Einerseits, wie ich auch im Buch schreibe, gibt es viel, dem ich keinen Raum geben wollte, weil ich Inhalte und Sprache nicht reproduzieren wollte, zum Beispiel ableistische oder rassistische Sprache. Mich hat das im Entstehungsprozess lang beschäftigt, wie ich damit umgehen soll. Einerseits wollte ich diskriminierenden Inhalten eben nicht nochmal eine Bühne geben, andererseits wäre es ein falsches Bild, wenn ein in Österreich lebendes Ich nie Diskriminierendes auf der Straße etc. hören würde. Letztlich habe ich mich dafür entschieden, diesen Widerspruch im Buch zu thematisieren, und nur dann anders zu verfahren, wenn mich die Diskriminierung unmittelbar selbst betrifft, also z. B. Sexismus. Wobei es auch zwei Stellen im Buch gibt, bei denen man diskutieren kann, ob ich diesem Anspruch gerecht geworden bin.

Und zum anderen, das schreibe ich ja auch im Buch, ist das natürlich immer ein selektives Hinhören, Merken, Dokumentieren, abhängig von Tagesverfassung, Umfeld, Dokumentier-Möglichkeit usw.

Die acht „Einsätze“, die manche als Kapitel lesen, waren von Anfang an Teil des Textes. Für mich hatten sie die Funktion, mich beim Schreiben selbst zu überprüfen, zu thematisieren, was im restlichen Text ausgelassen wurde, und dies dann ganz bewusst festzuhalten, mir immer wieder selbst die Frage zu stellen: „Moment – tust du hier noch das, was du wolltest?“ Nichtsdestotrotz sind auch diese „Einsätze“ sehr unterschiedlich geworden.
Dazu kommt dann noch der Lektoratsprozess, da ist gut ein Viertel oder sogar ein Drittel vom ursprünglichen Text weggefallen.

Wirst du deiner Art zu erzählen, deiner Art zu beobachten treu bleiben, oder befindest du dich in einem Entwicklungsprozess?

Also jede Person, die sagt, „Mein Entwicklungsprozess ist abgeschlossen“ (bezugnehmend auf was auch immer), ist für mich dubios. Das können höchstens die letzten Worte von jemandem auf dem Sterbebett sein.
Außerdem ist das für mich per se kein Widerspruch, „meiner Art des Erzählens treu zu bleiben“ und gleichzeitig in einem beständigen Entwicklungsprozess zu sein, das gehört einfach zu meinem Anspruch, auch an meine Literatur.

Wer beobachtet die Künstlerin, wenn das Ich dokumentiert?

Wahrscheinlich dieselben, über die das Ich schreibt.

Danke Anna Herzig und Katherina Braschel und alles Gute!

  • Katherina Braschel: es fehlt viel. Salzburg: edition mosaik 2020. 124 Seiten, 148 × 105 × 5 mm. 10 Euro.

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