Daniela Chana: Neun seltsame Frauen (Limbus Verlag)

Apollon, der griechische Gott der Künste, hatte neun Musen. Sie begleiteten ihn ständig und erfreuten ihn mit ihren Künsten. Jede von ihnen hatte ein anderes Talent. An diesen Musen orientiert sich die österreichische Autorin Daniela Chana (geb. 1985) in ihren Erzählungen über neun ungewöhnliche Frauen von heute, die in diesem Frühjahr im Innsbrucker Limbus Verlag erschienen sind, wo Chana 2018 mit ihren Gedichten Sagt die Dame debütierte.

Überraschend und nach vielen Jahren meldet sich ein früherer Liebhaber. Die Frau macht sich schön und ist erwartungsfroh, die alte Mutter kocht vorzüglich, die 16-jährige Tochter ist ge­spannt. Am Ende stellt sich heraus, dass der Mann nur gekommen ist, weil er bald heiraten wird und nun jemanden sucht, der oder besser die ihm das ausredet. Am Ende sitzen die drei Frauen am Tisch, wundern sich über den komischen Gast und essen den Rest des Schokoladenkuchens. Diese Geschichte ist der Muse des Gesangs gewidmet – Polyhymnia. Die Toch­ter ist Sängerin in einer ehrgeizigen Schulband. Sie schaut auf die Erwachsenen mit neugieri­ger Ratlo­sigkeit, will gesünder essen und anders leben als sie: „Etwas Schönes anzie­hen, un­gesund essen … Was würde aus einem werden, wenn man alle Ratschläge der Erwach­senen be­folgte?“ Ihre Großmutter hört leidenschaftlich Musik, spricht aber schon lange nicht mehr. Warum sie sich fürs Schweigen entschieden hat, erfährt man nicht. Es ist, wie es ist. Geheimnisse müssen gewahrt bleiben.

Im Zentrum dieser neun Erzählungen stehen Mädchen und Frauen, Beobachterinnen und Gescheiterte, es geht um Nähe und Liebe, um überraschende Begegnungen und unüberwindliche Fremdheit. Eine einsame Tellerwäscherin begreift am Anfang (die Geschichte ist mit Tháleia, Muse der Komödie, überschrieben) den Zusammenhang zwischen Lippenstift und Erfolg, eine Tanzlehrerin in der letzten Geschichte (Terpsichore/Tanz), dass ihre makellos schöne neue Schü­lerin eine beschädigte Einzelgängerin ist. Aber auch hier bleibt das Ende offen, gibt es keine Erklärungen. Unsere Lektüre-Erwartungshaltung wird nicht bedient. Oder das Paar, das sich auf einer Urlaubsreise nicht besonders gut versteht, das dort die anstrengende Be­kanntschaft eines anderen Paares macht: Alles deutet auf eine Tragödie hin (in der Geschichte, die Melpomene gewidmet ist), aber am Ende besteht das Drama allein darin, dass alles weitergehen wird wie bisher.

Daniela Chana stellt ungewöhnliche Frauen und neun Musen-Assoziationen ins Zentrum ihrer weiblichen Erkundungsprosa und setzt dabei klug und literarisch ge­konnt auf fantastische Begegnungen und überraschende Wendungen mitten in der modernen Realität. Das Märchenmotiv der Doppelgängerin wird variiert, die Kraft der Träume und nicht zuletzt eine weise alte Frau mit einer Ratte auf der Schulter kommen vor. Dass man Schriftstellern nicht trauen darf, sondern selbst Erfahrungen machen muss, das lernt allerdings die junge Dorfbewohne­rin in der Erzählung, die der Muse der Dichtung und Philosophie (Kalliope) zugeschrieben ist: „Es geht immer irgendwie weiter, aber es ist dann oft keine Geschichte mehr.“

Dank an Manuela Reichart (adaptiert; Originalbeitrag vom 17.6.21 auf DLF Kultur, Foto von Ryan McGuire)

  • Daniela Chana: Neun seltsame Frauen. Erzählungen. Innsbruck: Limbus Verlag 2021. 301 Seiten, gebunden. 18 Euro

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