Helena Adler im Gespräch

In ihrem aktuellen Roman Die Infantin trägt den Scheitel links (erschienen im Verlag Jung und Jung) wirft die 1983 im Salzburger Land geborene Helena Adler nicht nur einen fotografischen Blick in die österreichische Bauernstube. Sie lässt diese auch wie ein Karussell, das in grellen Farben schillert, Fahrt aufnehmen, durch die Decke gehen, dass die Holzscheite fliegen, und letztlich abbrennen, bis nichts mehr außer ein gigantischer Fliegenschwarm über allem schwebt.

Über die Seiten wird dabei klar, wozu die österreichische Sprache imstande ist und worin sie sich nicht zuletzt von der deutschen unterscheidet. Dort, wo die Leute so aussehen wie das Gemüse, das sie ernten, und wo sich Witz und Wut die schwitzende Hand reichen, entstehen Wortperlen, die anschwellen, bis der Mostkrug birst.

Aber, beginnen wir ganz von vorne.

Als ich zur Welt gekommen bin, waren die Urgroßeltern bereits steinalt. Mit ihren langen Ohrläppchen und ihren knorrigen Nasen sind sie immer an derselben Stelle gesessen. In der Stube am Esstisch auf den beiden Stühlen, ja nicht auf der zu gemütlichen Eckbank, die vor Vergnügen knarrte, wenn an Sonntagen jemand darauf Platz nahm. Am größten waren ihre Köpfe. Gigantisch, aufgeblasen wie Luftballons, mit runzeligen Latexmasken überzogen. Rübenhaft in Form und Farbe. Wie aus einem Märchengarten. Mit einer Art Rüssel als Kinn. Und ein paar spärlichen Haaren am Kopf. Wie ungewaschene Pastinaken, frisch aus der Erde gerissen, in der sie doch so gerne feststeckten, auch wenn sie ihnen bis zum Hals reichte.

Das Wühlen in der Heimaterde fördert die Coming-of-Age-Geschichte eines Bauernmädchens zu Tage, das sich gegen rustikale Brutalität und katholische Bigotterie gleichermaßen stemmt. Über Abgründen so tief wie Bergschluchten wird dabei so lange mit dem alpenländischen Inventar jongliert, bis einem die Sterne vor den Augen tanzen.

Das liest sich wie Sturm im doppelten Sinne. Während einem österreichische Tradition und Kultur sprachgewaltig um die Ohren fliegen, ist der Lesegenuss ganz ähnlich wie der des beliebten Herbstgetränks, das ebenso heißt. In der alkoholischen Gärung irgendwo zwischen Traubensaft und Wein zu verorten, ist Sturm verführerisch süß und gefährlich süffig. Am Ende dreht sich alles. Und so, wie auch der Sturm in Österreich als Vorbote des Weinjahrgangs gilt, erweckt dieser Roman große Erwartungen. Helena Adler ist eine furiose literarische Entdeckung, mit Spannung darf auf künftigen Buchdeckeln nach ihrem Namen Ausschau gehalten werden.

 

Im Gespräch mit Helena Adler

Allmählich taucht die Kulisse auf, die im Buch Die Infantin trägt den Scheitel links die Bühne für den alpinen Entwicklungsroman bildet: Am Autofenster ziehen wolkenverhangene Bergspitzen, Traktoren mit Anhängern voller Heuballen und Wiesen mit Kühen vorbei. Dann noch einmal am Lagerhaus abbiegen und wir sind da. Helena Adler lebt nach wie vor im Salzburger Land, mittlerweile ein Dorf weiter von dem, wo sie aufgewachsen ist. Das Interview findet in der Gartenlaube statt, wo die Katze gerade ihr Abendessen von einem Pappkarton leckt. Für uns gibt es selbstgemachten Hollersaft, zwischendurch taucht der Ehemann mit dem Fliegenpracker auf, um uns ein insektenfreies Gespräch zu sichern.

 

Helena, in deinem aktuellen Roman geht es urig und schonungslos zu. Die Kulisse ist optisch deckungsgleich mit der, in der wir uns befinden. Ist das deine Kindheit, dein Leben, das da beschrieben wird? Wie viel ist Dichtung, was ist Wahrheit?

Sagen wir: fünfzig fünfzig. Ein Teil davon ist natürlich mein Leben, der Rest ist frei erfunden. Das war es als Kind schon, Dichtung war mir immer wichtig. Sonst ist es einfach zu fad. Ich bin sehr froh, dass nicht einmal nahestehende Personen wie meine Mutter oder meine besten Freundinnen den Unterschied erkennen. Die sagen: Also, die Geschichte musst du mir aber noch einmal erzählen. Das war doch nicht wirklich so?!

Ich höre heraus: Die reden also alle noch mit dir.

Ja, fast.

Wie ist es zu diesem Roman gekommen?

Da war die Ausschreibung des Salzburger Jahresstipendiums zum Thema Kindheit. Das war der Anstoß. Ich wusste: Das ist mein Thema. Dann habe ich die ersten paar Seiten geschrieben und eingereicht und sie auch an den Verlag Jung und Jung geschickt. Der Lektor schrieb mir zurück: Bitte mehr davon. Beste Bedingungen um weiterzuschreiben.

Gibt es Schreibroutinen oder -rituale?

Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich mich um 6 Uhr hinsetzen und losstarten. Aber mit Familie und Kind schreibe ich, wenn mir Zeit dafür bleibt. Die meisten Ideen kommen mir vor dem Einschlafen. Da tippe ich dann Formulierungen ins Handy – und schicke sie mir selbst, als SMS.

Woher kommt denn dieses Talent zum Formulieren und Fabulieren? Den Leuten aus der Landwirtschaft wird ja gern nachgesagt, dass sie wortkarg sind. Das scheint bei dir ganz anders zu sein.

Zum einen gibt es diese Sprachlosigkeit. Auf der anderen Seite aber auch ein sehr witziges Sprachvokabular, alte spannende Wortkreationen, auf denen kein Augenmerk liegt. Ich hatte das Glück, in dieser Hinsicht gefördert worden zu sein. Wir hatten zuhause immer Spaß mit der Sprache, auch im Streit. Meine Mutter hat oft witzig geflucht und selbst geschrieben. Den Sarkasmus, das Fiese und das Brachiale haben wir – alle drei Schwestern – vom Vater. Niemand hat eine schäbigere Lache als meine große Schwester. Und als Jüngste der Familie musste ich mich natürlich auch behaupten, also verbal ausholen können, um überhaupt registriert zu werden.

Dein Roman wird gerade für seine rustikale und gleichzeitig fantastische Sprache gelobt. Bei genauerem Hinsehen ist klar: Dahinter steckt sehr genaue, fast fotografische Beobachtung. Die gefalteten Plastiksackerl, die 5-Liter-Senfkübeln – wie kannst du diese klitzekleinen Details abrufen?

Ich liebe diese kleinen Details einfach. Wenn ich so was in anderen Büchern lese, bin ich dankbar und denke: Gott sei Dank hat das jemand festgehalten, sonst würden diese Erinnerungen verloren gehen. Zweitens bin ich mit einem episodischen Gedächtnis gesegnet, das ist jenes, das mit Emotionen zusammenhängt. Da ist alles Mögliche abgespeichert, beispielsweise Weihnachten als Kind. Wenn ich daran denke, taucht auch gleich das komplette Inventar auf: Krippenspiel mit der Pinkelpuppe als Jesus. Josef, Maria, alle Rollen klar verteilt. Für mich ist nur mehr das Schaf übriggeblieben. Alle Jahre wieder wurde mir ein grindiges Fell über den Buckel geworfen mit dem Versprechen bei der kommenden Weihnacht eine bessere Rolle zu bekommen, was nie eingetreten ist. Wie gern wäre ich zum Esel avanciert.

Ursprünglich hast du auch Malerei, Philosophie und Psychologie studiert. Im Buch finden sich zahlreiche Zitate und Verweise. Wie bist du schließlich zum Schreiben gekommen? Und: Malst du auch so, wie du schreibst? Also, versuchst du überall dasselbe auszudrücken?

Ich habe mit allem gleichzeitig angefangen, Malerei und Schreiben waren schon immer da. Ein Germanistik-Studium habe ich auch begonnen, aber ziemlich schnell wieder aufgehört. Grammatik finde ich widerlich, Gift fürs Schreiben. Als würde man eine Liebeserklärung zergliedern. Für mich ist Sprache immer Gefühl. Ich habe das nie systematisch gelernt und weigere mich bis heute, es zu tun. Ähnlich ist mein Zugang zur Malerei, expressiv.

Was genau ich ausdrücken will, lässt sich nicht festnageln. Manchmal ist es ein Wüten, etwa gegen unser aller Ableben. Meistens geht es aber darum, Räume, geistige Welten zu eröffnen.

Was gibt dir das Schreiben? Warum setzt du dich überhaupt hin?

Es ist das Einzige, was ich die ganze Zeit machen will. Im Schreiben kann man sich viel weniger verstecken als zum Beispiel in der Malerei. Andererseits sprechen Malerei und auch Musik unmittelbar an, du bist sofort in der Emotion. Das finde ich immer ein bisschen schade, dass das beim Schreiben nicht so direkt beim ersten Buchstaben funktioniert, das ist dann etwas verzögert. Aber zur Selbstverortung ist es mein Kanal. Und das ist auch, was ich da mache.

Selbstverortung, bei der du in der Provinz ankommst?

Auf keinen Fall. Nein, da beame ich mich weg! Die Provinz-Kulisse ist mein Ausgangspunkt, aber von der aus geht es in eine neue Welt. Die erschaffe ich mir beim Schreiben. Das habe ich schon als Kind gemacht.

Auch schreibend?

Nein, da habe ich Installationen gebaut, durch die die Geburtstagsgäste dann durchmussten, wenn es sein musste, auch mit ein bisserl Druck. Oder kleine Inszenierungen. Halloween-Partys mit Parcours im Kellerlabyrinth, wo die Leute mit klappernder Laterne durch Schwaden aus der Nebelmaschine mussten, vorbei an präparierten Tieren, Tatort Absperrbändern, Äxten und Mistgabeln. Am Ende des dunklen Weges, der mit hohen Horrorstreichertönen bespielt wurde, gab es ein offenes Garagentor, da ist dann mein großer Cousin mit der Motorsäge von einer Seite zur anderen geschritten. Das ist nur ein kleiner Auszug, ich habe ein halbes Jahr immer wieder daran gearbeitet.

Showdown. Warum muss die Postkarten-Idylle im Buch immer wieder gesprengt werden?

Weil die Realität nicht Postkarte ist. Wer will nur Sound of Music? Das ist doch öd. Man will eine Sound of Music-Karte, die schimmelt, wenn man sie umdreht. Ich zumindest. Und irgendeinen Schimmel gibt es in jeder Familie – meine kommt halt aus der Provinz.

Wie würdest du Provinz in einem Satz beschreiben?

Eine Mischung aus Heimathafen und Horrorkabinett. Ambivalent. Ich muss mich wegbeamen von der Engstirnigkeit. Auf der anderen Seite liebe ich sie, ganz besonders die Natur.

Lucia Schöllhuber (mit viel Dank)
(Fotos Lucia Schöllhuber, Foto der Autorin von Eva trifft.)

  • Helena Adler: Die Infantin trägt den Scheitel links. Salzburg: Verlag Jung und Jung 2020. 176 Seiten, gebunden. 20 Euro. Auch als E-Book.

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