Charlotte Wood: Ein Wochenende (Kein & Aber)

Im Zentrum des Romans Ein Wochenende von Charlotte Wood stehen vier Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie kennen sich seit mehr als vierzig Jahren, sind miteinander alt gewor­den: Die intellektuelle Wendy, eine erfolgreiche Autorin, die einen fürsorglichen Ehemann hatte. Ihr zwei Kinder sind ihr heute fremd. Sie besitzt einen klapprigen, sabbernden Hund, kümmert sich nicht mehr um ihr Äuße­res. Ganz anders die egozentrische Adele, eine einstmals bekannte Schauspiele­rin, die inzwi­schen am Rande des Existenzminimums lebt und ihr letztes Geld für Mani­küre ausgibt. Über solche Kosten muss die kultivierte Jude nicht nachdenken, früher war sie eine gefragte Restaurantmanagerin, für ihren geschmackvol­len Lebensstil kommt seit Jahrzehnten ihr verheirateter Geliebter auf. Die vierte im Bunde war Sylvie, sie hatte das Quar­tett mit Anfang dreißig zusammengebracht, sie war eine zur Freundschaft offensichtlich beson­ders begabte Frau. Und nun ist sie tot. Ihr Tod vor elf Monaten hat eine schmerz­hafte Lücke hinterlas­sen. Und ein Haus auf einer Klippe, irgendwo zwischen Sydney und Newcastle, das ausge­räumt werden muss. Die drei alten Freundinnen sollen die Weihnachts­tage dort verbrin­gen und Ordnung machen. Die Spuren eines Lebens beiseite räu­men, denn das Haus soll verkauft werden.

Es war kein Urlaub, hatten die drei Frauen sich gegenseitig gemahnt, aber eigentlich war diese Mahnung für Adele bestimmt, die sich beim ersten Anzeichen von Arbeit verkrü­meln würde, Adele würde absolut nutzlos sein, doch sie konnten sie nicht ausschließen.

Es waren nur drei Tage. Eigentlich eher zwei, da Einkäufe, Fahrt und Ankunft den größ­ten Teil des heutigen Tages in Anspruch nehmen würde.

Drei Frauen, die um die Freundin trauern, die von ihrem Alter geplagt werden, die ihre ewig gleichen kleinen Scharmützel austragen, sich oft nicht ertragen und die Schwächen der anderen gnadenlos beobachten – und die doch einander von Herzen zugetan sind und mit sorgenvoller Nachsicht betrachten. Die egomanische Schauspielerin täuscht sich, wenn sie glaubt, die Männer würden immer noch ihre Brüste bewundern und über das faltige Dekolleté hinwegsehen. Die kluge Autorin merkt nicht, wie sie langsam ver­kommt. Und die kühle Ex-Restaurantmana­gerin begreift nicht, wie sehr sie die anderen mit ihrem Perfektionswahn quält.

Die australische Autorin schreibt einfühlsam und pointiert von dem, was eine alte Freund­schaft ausmacht. Der Züricher Verlag Kein & Aber, der seit über zwanzig Jahren beherzt „Schneisen ins Dickicht der Literatur“ schlägt, hat mit Woods Roman einen Volltreffer bei Publikum und Presse gelandet.
Die in die Jahre gekommenen Damen gehen sich auf die Nerven, weil man die anderen allzu gut kennt, aber man liebt und vertraut auch einander. Lange wird das Leben auch nicht mehr dauern. Der Abschied ist unausweichlich, gemeinsam kann man sich jetzt noch erinnern, wie es war, jung zu sein. Denn alle wa­ren einmal schön und begehrenswert, und die Zukunft lag verheißungsvoll vor ihnen. Nun sind sie alt und mehr oder weniger zufrieden mit ihrem Leben. Nur die sich immer noch der Illusion einer nächsten Rolle, des ihr zustehenden Erfolgs hingebende alte Schau­spiele­rin hat es wirklich schlecht getroffen.

Die Leute dachten, wenn man alt wurde, würde man sich die verlorene Jugend zurückwün­schen, die verlorene Liebe, Männer, Sex. In Wirklichkeit jedoch wollte man Arbeit, und man wollte Geld.

Dass man Geld braucht – vor allem im Alter –, das wissen wir. In diesem Roman geht es des­wegen auch um die Demütigungen, die man ertragen muss, wenn man keines hat, wenn man abhängig ist. Aber das ist nicht die einzige Sorge, die die Frauen umtreibt. Natürlich geht es auch um die Angst vor dem Tod und den schwindenden Geisteskräften – und die Anhänglichkeit an einen alten inkonti­nenten Hund.

Die Geschichte dieses Wochenendes ist nicht rührselig erzählt, auch wenn es um Abschied, Trauer und körperliche Malaisen geht. Vielmehr lesen wir das ebenso genaue wie liebens­wür­dige Porträt dreier alter Frauen, die es gut getroffen haben, weil sie einander noch haben – nach all den Jahren. Obwohl natürlich bei einem solchen Abschieds- und Aufräum­aufent­halt auch Geheimnisse und Verletzungen zu Tage treten, die vielleicht besser unter der Decke geblieben wären. Aber wer weiß das schon? Die Autorin ist keine Richterin, vielmehr eine anteilnehmende kluge Beobachterin. Es geschehen ja auch im Alter überra­schende Wendun­gen, wenn es etwa die kindisch-egozentrische Freundin ist, die in einer Krisen­lage plötzlich die richtigen Entscheidungen für das Trio trifft.

Am Ende sehen wir die drei im Morgengrauen im Meer baden. Das ist ein schö­nes und starkes Bild. Sie werden nur noch eine kurze Weile leben, aber sie wer­den einander helfen, wenn sie können. Und das ist tröstlich zu wissen.

Jede von ihnen ließ los, tauchte unter, fühlte sich getragen, hochgehoben von der Kraft des Wassers und – erstaunlich sanft – wieder abgesetzt. Sie atmeten, wischten sich die Augen und warteten auf die nächste Welle.

Dank an Manuela Reichart
(adaptiert und erweitert, Originalbeitrag auf rbb Kultur); Foto von megspl)
 

  • Charlotte Wood: Ein Wochenende. Roman. Aus dem australischen Englisch von Brigitte Walitzek. Zürich/Berlin: Kein & Aber 2020. 287 Seiten, Hardcover. 22,70 Euro

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