Theres Essmann: Federico Temperini (Verlag Klöpfer, Narr)

Das Erzähldebüt Federico Temperini von Theres Essmann (erschienen im Frühjahr bei klöpfer, narr) beginnt mit einem Anruf bei dem Taxifahrer Jürgen. Der Anrufer möchte keine Taxifahrt bestellen, sondern einen Chauffeur, jemanden, der ihn fährt, auf ihn wartet und ihn dann wieder nach Hause bringt.
Das Erscheinungsbild des Herrn um die achtzig passt zu diesem etwas altertümlichen, exklusiven Wunsch: Er ist sehr schmal, trägt einen schwarzen Anzug, einen schwarzen Mantel, lässt sich die Wagentür öffnen und in die Philharmonie fahren. Auf dem Rückweg legt er Jürgen einen Umschlag aus Büttenpapier auf den Beifahrersitz, darin befindet sich sein „Honorar“. Ganz die „alte Schule“ stellt Jürgen fest.

Im Laufe einiger Fahrten, die zuerst ausschließlich zum Konzerthaus führen, später auch zum Friedhof oder an einen See, kommen sich die beiden sehr unterschiedlichen Männer näher und öffnen sich schließlich einander. Schnell fiel Jürgen auf, dass die linke Hand Temperinis „komisch“ ist. Was genau damit passierte, erzählt er nie, aber dass diese Krankheit ihn seine Karriere als Geiger kostete. Er war ein großer Star gewesen, wurde verglichen mit Paganini, dem Teufelsgeiger.

Dieser Musiker, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts rauschende Erfolge feierte, „dessen großartige Virtuosität ja bekanntlich auf Kosten seiner Gesundheit ging“ ist ein Spiegel für Federico Temperini. Man könnte auch sagen: eine Obsession. Er kennt jedes Detail aus Paganinis Leben und Werk, alles wird an diesem gemessen.

Der Taxifahrer erfährt, dass sein eigener Vater, der noch ein Chauffeur mit Uniform und besten Umgangsformen war, den damals berühmten Geiger schon gefahren hat.

So spannt Theres Essmann einen Bogen über die Generationen hinweg. Ein Mosaiksteinchen nach dem anderen fügt sie hinzu, am Ende entfalten sich mehrere Geschichten über Väter und Söhne vor den LeserInnen. Die Novelle erzählt von Sprachlosigkeit und Einsamkeit, Verlust(Ängsten) und Sehnsucht wie gleichermaßen von Freundschaft und Menschlichkeit.

Die Frage, was denn die unerhörte Begebenheit ist, die seit Goethe die Novelle definiert, ist nicht so einfach zu beantworten. Es gibt kein dramatisches, einzigartiges Ereignis in dieser Erzählung, aus dem sich die Handlung entfaltet. Das Besondere ist vielmehr die zarte und rücksichtsvolle Art der Enthüllung. Federico Temperini erzählt immer mittels Paganini von sich selbst, dieser ist quasi die dritte Person im Taxi. Und er legt dem Umschlag bald Konzertkarten, Fotos oder Zeitungsausschnitte bei, die einen Aspekt seines Lebens preisgeben.
Dabei schlägt Essmann aber keinen antiquierten Ton an, im Gegenteil: Jürgen und seine Kumpels sind ganz und gar Zeitgenossen, manchmal ein bisschen rustikal. So assoziiert Jürgen die Mondsichel mit einem abgebissenen Fingernagel. Oder Temperini erzählt bei einem gemeinsamen Gang über den Friedhof „von Paganinis ruheloser Leiche. Der Graf hatte den Leichnam jahrzehntelang versteckt, also quasi zwischengelagert, und zwar zunächst im Keller seiner Villa. Wie Winterreifen, dachte ich“.

Federico Temperini ist eine kluge Geschichte, die viel erzählt, aber nicht überfrachtet ist. Die verschiedene Tonlagen anschlägt und jedes Kapitel so enden lässt, dass man das folgende sofort lesen möchte.

Dank an Petra Lohrmann
(Foto by Pexels)

  • Theres Essmann: Federico Temperini. Novelle. Tübingen: Klöpfer, Narr 2020. 164 Seiten, Hardcover. 18 Euro

#zweiterfruehling

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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