Mazen Maarouf: Ein Witz für ein Leben (Unionsverlag)

Eine alte Volksweisheit besagt: Je weniger es zu lachen gibt, desto mehr sollte man es tun. Und so zieht sich auch der Witz als roter Faden durch Mazen Maaroufs Erzählungen Ein Witz für ein Leben, die allesamt vor der Hintergrundkulisse des Krieges spielen.

Dort, zwischen Krüppeln und Trümmern, können Witze Leben retten oder töten. Manchmal müssen sie Familien ernähren, oft ist die Komik unfreiwillig. Immer aber helfen sie, kurz auszubrechen aus einer Welt, die unerträglich unmenschlich geworden ist. Wo Bomben Vätern die Arme wegreißen oder Raketen in den Schulbus einschlagen, in dem der taube Bruder sitzt, muss der Geist Strategien zur Bewältigung finden.

Neben tiefschwarzem Humor bedient sich Maarouf dabei des surrealen Kunstgriffs einer Kinderperspektive, die naiv und neugierig Fantastisches in den Blick nimmt. Wir begegnen Kühen in Kinosälen, die nun als Luftschutzbunker dienen, Schnellstraßen voller Biskuitbrösel, die eigentlich Autowracks sind, und Paprikapflanzen, die die Seelen ganzer Familien in sich tragen.

Von kindlicher Logik und magischem Denken durchzogen, legt Mazen Maarouf mit diesen skurrilen Seltsamkeiten, die im Kriegsalltag auftauchen, ein außergewöhnliches Debüt vor. Man ahnt, dass er genau kennt, wovon er schreibt, wenn er immer wieder und fast nebensächlich die alltägliche Gewalt und ihre Sinnlosigkeit streift.

Dabei nutzt der 1978 im Libanon geborene Autor den Vorstoß ins Absurde nicht nur als Flucht aus einer grauenvollen Realität. Vielmehr bedeutet er die Suche nach einer würdevollen Existenz in ihr. Der Kinderblick versucht nicht zu verstehen. Er nimmt selbstverständlich in den Blick, was sich vor ihm auftut, geht damit um, spielt und sucht seinen Platz, um einfach sein zu können – als Kind, dem die Unschuld mal mehr, mal weniger abhandengekommen ist, inmitten eines Albtraums namens Leben.

Der Erzählband stand 2019 auf der Longlist des Man Booker International Prize und ist 2020 in deutscher Übersetzung von Larissa Bender im Unionsverlag erschienen.
Der Verlag, mit Sitz in Zürich, feiert in diesem Jahr sein 45-jähriges Bestehen. Aus der Literaturlandschaft ist er längst nicht mehr wegzudenken. Sein Programm, das von Anfang an Literatur aus weniger bekannten Ecken der Welt für das deutschsprachige Publikum entdeckte, präsentiert bis heute Höhepunkte der internationalen Literatur. Was Mitte der 1970er-Jahre als Pionierleistung galt, ist über die Jahre zu einer respektablen Backlist angewachsen: Autorinnen und Autoren aus fast allen Ländern der Erde, Übersetzungen aus weit über vierzig Sprachen und nicht zuletzt Nobelpreisträger findet man dort. Als 2012 Mo Yan mit der Auszeichnung beehrt wurde, prägte Verleger Lucien Leitess den Satz: „Der Unionsverlag ist klein. Seine Autoren sind groß.“

Über das unabhängige Verlegen hielt Leitess bereits zwanzig Jahre vorher in der Frühjahrsvorschau fest:

Es braucht nicht nur die Großen L’s: Lust, Liebe, Leidenschaft und Lotterie. Es braucht auch die Kleinen K’s: Konzentration des Programms, Kontrolle der Kosten, Keinen Mäzen, Kühlen Kopf, Kalkulation. Keiner gibt uns Taschengeld. Auf diese Weise leben wir ohne Komfort und Konzern, frei und gefährlich.

Dem Unionsverlag, insbesondere aber auch seinen Leserinnen und Lesern, kann man in diesem Sinne nur viele weitere Jahre zum 45. Jubiläum wünschen – nichts weniger als Großes gibt es zu erwarten.

Dank an Lucia Schöllhuber
(Foto Lucia Schöllhuber)

Mazen Maarouf: Ein Witz für ein Leben. Erzählungen. Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Zürich: Unionsverlag 2020. 160 Seiten, Hardcover. 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.

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