Simone Schönett begibt sich in unbekannte, unsichere, aufregende Gewässer: In ihrem neuen Buch Das Pi der Piratin (erschienen im Frühjahr 2020 in der Edition Atelier) erkundet sie die Möglichkeiten einer weiblichen Sprache der Begierde. Das Ergebnis lässt einem beim Lesen keinen Moment der Sicherheit, ist manchmal verstörend, respektlos, oft sehr witzig und auf jeden Fall lesenswert.
Am Anfang steht die Feststellung der Ich-Erzählerin, dass es keine Sprache gibt, in der Frauen über Sexualität sprechen und ihr Verlangen ausdrücken können. Sofern sie es tun, müssen sie sich einer männlich geprägten Sprache bedienen und bewegen sich in einem von der Gesellschaft eng abgesteckten Bereich. Wie also als Frau über Lust reden? Die Erzählerin umschifft das Thema und nähert sich der Frage auf verschiedene Arten an. Sie lässt die festgeschriebenen Ordnungen der Sprache hinter sich und bedient sich ihrer auf anarchische Weise. Eine neue Ordnung schafft sie dabei nicht, und dies ist wohl auch nicht ihre Intention, denn so bleibt die Freiheit der Piratin erhalten. Dabei entsteht eine lyrische Prosa, in der das spielerische Element eine wichtige Rolle innehat. Durch Assoziationen und Alliterationen entstehen neue Bedeutungen und Verbindungen, und wir können die Worte in ihrer Form und ihrem Klang neu entdecken, was dabei mitschwingt und mitschwingen könnte:
Reden vom Undredbaren, das Unredliche redbar machen. Selbst die Gründung einer Reederei schien mir einfacher; ich würde Blaustrümpfinnen in See stechen lassen, Fregattinnen, Schlauchbootinnen, Schnellkähninnen, Verkehrsschiffinnen, Flussdampferinnen, U-Bootinnen und so fort.
Schiffe werden in der Mythologie als weiblich angesehen und auch heute noch mit dem weiblichen Artikel genannt, und in diesen Neuschöpfungen stecken noch weitere Frauen, die Gattin und die Botin.
Die Ich-Erzählerin möchte sich nicht zufrieden geben, sie möchte alles, nicht nur in der Sprache; sie möchte „nicht nur horizontal, sondern auch vertikal laufen“, sich selbst über den Kopf wachsen. Ebenso widersetzt sich das Buch selbst den Genre-Grenzen; die Autorin bezeichnet die Form als „Widerstandsakt“. „Man kann der Sprache nichts anderes entgegensetzen als Sprache“, sagt sie bei einem Interview mit literadio, und dass in ihrem Buch Erwartbares nicht erfüllt und die Sprache auf den Kopf gestellt wird. Vieles wird mit der Sprache ausprobiert, vieles wird verneint und wieder weggelegt; Paradoxa sind erlaubt oder sogar erwünscht. Die sprachlichen Bilder müssen nicht den Gesetzen der Vernunft folgen und eröffnen gerade deshalb neue Wege.
An vielen Stellen spielt die Erzählerin mit einer „Verweiblichung“ von Namen und Wörtern – „die Ärschin“, „Johanna Sebastiana Bächin“, „befrauschen“ oder „bedamen“ statt „beherrschen“. Es wird jedoch auch klar, dass dies nicht der Weg zu einer weiblichen Sprache der Wollust sein kann. Vielleicht schon im vorsprachlichen Bereich anfangen, bei Gefühlen, Lauten, Klängen, oder vielleicht zu einem neuen Schweigen finden, einer „klitoralen Stille“?
Mit dem Bild der Piratin ist die Erzählerin eine Einzelkämpferin, und sie gibt sich nicht der Vorstellung einer Schwesternschaft, von Frauen als einer homogenen Gruppe hin. Utopien klingen manchmal dennoch an; was wäre, wenn alle Frauen auf der Welt zugleich ein Lied anstimmen würden, „erdumgreifend ihre Kehlen vibrieren ließen“? Ein solches Miteinander im Getrenntsein, eine kurzzeitige Utopie spielen in Simone Schönetts Roman Andere Akkorde (2018) eine wichtige Rolle: Die Roma als größte ethnische Minderheit Europas rufen einen eigenen Staat ohne Territorium aus.
In Das Pi der Piratin hat die Sprache etwas Körperliches, Naturhaftes, manchmal auch Gefährliches: Die Freiheit ist gleichzeitig Exponiertheit und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Würde die Erzählerin tatsächlich „Sprachackerbau betreiben“, dann würde sie sich schmutzig machen, der „Sprachruß“ würde an ihr haften. Die Erzählerin steht am Anfang ihres Weges, aber der Keim ist gelegt; die Ideen und Bilder wuchern in alle Richtungen weiter. Ein Buch, das zeigt, was Sprache vermag.
Dank an Miriam Mairgünther
- Simone Schönett: Das Pi der Piratin. Prosa. Wien: Edition Atelier 2020. 106 Seiten, gebunden. 16 Euro