Thomas Raab: Bobophon (Ritter Verlag)

Thomas Raab schreibt vom „Kunstkakadu“ und der „Revolutionsschnecke“. Er schreibt den „Lagebericht eines Eis, vom Huhn selbst verfasst“ oder auch den „Nischentiger“. „Lehrfabeln“ nennt er seine in Bobophon, jetzt erschienen im Klagenfurter Ritter Verlag, versammelten verrätselten Texte. Sie sind in einer Welt angesiedelt, in der die Trennung zwischen Mensch und Tier aufgehoben zu sein scheint. Wodurch das Eigentümliche des modernen Menschen – und auch des Bobos – deutlicher nach außen treten kann: Selbstbetrug und Selbstbeweihräucherung.

Mit seinen Texten hält Thomas Raab den Bobos einen Spiegel vor – und auch sich selbst. Der gebürtige Grazer (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Autor der „Metzger“-Krimis) hat sich dafür einen Kunstgriff ausgedacht, der seine Leser aufs Glatteis führt. Im „Kunstkakadu“ geht es ja noch einigermaßen geordnet zu: Wenn der gelehrige Vogel sein Gefieder aufplustert und die weiße Haube sträubt, lässt sich prima eine Analogie zum Vernissagebesucher oder zur ausstellenden Künstlerin herstellen. Denn der Auskenner und Aufplusterer sind viele, der stillen Kenner schon deutlich weniger zwischen Leinwänden, Prosecco und Schnittchen.

Oder nehmen wir den „Lagebericht eines Eis, vom Huhn selbst verfasst“. Der Lagebericht aus der Legebatterie liest sich verzweifelt komisch, was natürlich an der Perspektive des denkenden Huhns liegt, dessen Bauer ein „guter Bauer“ ist, wie das Huhn vermerkt. So lange jedenfalls, bis da Herren in Anzügen auftauchen, die mit der Legeleistung gar nicht zufrieden sind.

Verrätselter wird es dann schon beim Auftreten der „Revolutionsschnecke“, wenn der Erzähler befindet, dass Schnecken „für die permanente Revolution besser geeignet sind als alle anderen Arten“. Könnte es mit ihrer Schleim- und Kriechspur zusammenhängen? Oder der vom Autor diagnostizierten „Doppelbehausung“? Jedenfalls: „Droht die Revolution zu stocken, zieht sich die Volksmasse der Schnecken in ihr Haus zurück und wartet ab.“ Und sonst ist es für sie „hier oben auf den Barrikaden schön warm“.

Thomas Raab, Jahrgang 1968, studierte Naturwissenschaften in Graz, Wien und Berkeley und arbeitete nach der Promotion mit Oswald Wiener zusammen. Der Mann ist so belesen wie wortverliebt. Soziolekte schüttelt er lässig aus dem Ärmel, genau wie allerlei biologisches Wissen über seine seltsamen Mensch-Tiere: die Diskursbiene, den Ameisenbär, die Ratten im dunklen Netz. Vielleicht ist das ja ein literarisches Echo seines naturwissenschaftlichen Studiums.

Bobophon kann man nicht am Stück lesen; manche seiner Fabeln sind gelungen, in dem Sinne, dass die Verschmelzung von Mensch- und Tierwelt zwecks persönlichem Erkenntnis- und Humorgewinn herrlich funktioniert. Bei anderen Texten laufen beide Welten parallel, ohne sich zu befruchten. Aber es stehen ja genügend Fabeln in Bobophon, und Raabs Fabulierlust ist wahrlich eindrucksvoll. Wem sie zu weit geht, der schaut sich halt die umso reduzierteren Schwarzweiß-Zeichnungen an, die Christian Wallner beigesteuert hat.

Dank an Alexander Musik

  • Thomas Raab: Bobophon. Mit Zeichnungen von Christian Wallner. Klagenfurt: Ritter Verlag 2020. 120 Seiten, Broschur. 13,90 Euro.

 

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