Susanne Röckel: Kentauren im Stadtpark (Jung und Jung Verlag)

In den neuen Erzählungen von Susanne Röckel Kentauren im Stadtpark, erschienen im Jung und Jung Verlag, fallen moderne Menschen dem Mythos und den alten Götterwelten anheim, denn Ver­nunft alleine hilft nicht – weder in der Liebe noch in der Trauer.
Sie stehen unter dem Bann rätselhafter Helden und Göttergestalten und wissen nicht recht, wie ihnen ge­schieht. In den drei Erzählungen befinden sich die Protagonisten (zwei Frauen und ein Mann) in Ausnahmesi­tua­tionen – und werden heimgesucht von düsteren Wesen und alten My­then. Im Vorwort schreibt die kluge Autorin (deren Roman Der Vogelgott im letzten Jahr zu den aufregendsten Neuerscheinungen gehörte): „Sirenen und Kentauren sind nicht untergegan­gen“, ihr selber seien sie „Wegweiser und Werkzeug auf dem Weg zu je­nem Anderen der Realität, genannt Literatur“.

Eine Frau erfährt vom Betrug des Ehemannes, einem Mittsechziger, der einem Herkules gleich enorme Kräfte und einen regen Verschleiß an jungen Frauen hat. Dieses Mal ist der Betrug jedoch schwerwiegender als früher. Sie erinnert sich deswegen an das stin­kende Hemd, das ihr vor vielen Jahren in die Hand gedrückt worden war nach einer schreckli­chen Vergewaltigung. Es habe Zauber­kräfte, hatte man ihr gesagt, könne die ewige Liebe sichern. Span­nend und virtuos verschachtelt erzählt wird hier eine Varia­tion von Herakles und seiner Frau, die von einem Kentaur übers Wasser getragen und sexuell bedrängt wird. Üb­rig bleibt im Mythos wie in dieser Geschichte jenes Hemd des Täters, das sich am Ende ganz und gar nicht als Liebeszaubermittel er­weist. Die schwarze Magie ist stärker als der helle Wunsch.

Susanne Röckel beschreibt den Abgrund, der in der modernen Wirklichkeit lauert. Die Sehnsucht nach der Kraft der alten Mythen und der Stärke, die jene Wesen aus der fremden Welt immer noch haben. Sei es der titelgebende Kentaur – das erotisch strot­zende Mensch-Pferd-Wesen – oder seien es die riesigen Vögel aus der Unterwelt, mit de­ren Hilfe ein von Schuldge­fühlen geplagter Lehrer sich von seiner verstorbenen Frau endlich lossagen kann. Der brave Mann versteht ebenso wenig, was ihm im italieni­schen Trauerurlaub geschieht, wie er damals begriffen hatte, warum seine schöne Kommilito­nin gerade ihn begehrte. Und warum wurde aus dieser wunderbaren Liebesgeschichte eine so trostlose Ehe? Es ist vor allem und immer noch die Liebe, die unbegreiflich und übermächtig ist.

In der dritten Geschichte verwandelt die Autorin „Daphne und Apoll“: Eine selbstsi­chere Theolo­gin kennt sich da plötzlich nicht mehr aus in ihrer Arbeitswelt. Bedroht von der Macht der Erotik, von einem geheimnisvollen Mann – verwandelt sie sich in einen Baum.

Es sind aber keine Traumbilder oder Hirngespinste, mit denen wir bei der Lektüre die­ser drei Erzählungen konfrontiert werden. Die Wesen aus der dunklen Welt gehö­ren zwar nicht in unseren von Vernunft geprägten Alltag, aber das Vermögen der Autorin besteht da­rin, ganz selbstver­ständlich und kunstvoll von der Zwangsläufigkeit und Sinnhaf­tigkeit der alten Mythen zu erzählen. Atemlos folgt man ihr jedenfalls in die düsteren Abgründe der Seele, in die keine Psychotherapie je hinabsteigen kann.

Manuela Reichart
(adaptiert, Originalbeitrag auf Deutschlandfunk Kultur Lesart)

 

  • Susanne Röckel: Kentauren im Stadtpark. Drei Erzählungen. Salzburg: Jung und Jung Verlag 2019. 224 Seiten, gebunden. 23 Euro. Auch als E-Book.

 

 

 

 

 

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