Ingvar Ambjørnsen: Echo eines Freundes (Edition Nautilus)

Manche Leser treffen mit dem Elling-Roman Echo eines Freundes von Ingvar Ambjørnsen, erschienen in der Edition Nautilus, einen alten Bekannten wieder – in den 1990er-Jahren erschienen bereits drei Elling-Romane, der vierte kam 2001 heraus. Der neue nimmt nun die Fäden der vorausgegangenen auf, es ist jedoch zum Verständnis des Textes nicht nötig, die Vorgänger zu kennen.

In Echo eines Freundes geht Elling auf die Sechzig zu. Er tritt in eine aufregende neue Phase seines Lebens ein: Er bezieht eine eigene Wohnung, Sockeletage. Das ist ein schöneres Wort für Kellerwohnung, aber er hat einen direkten Zugang zum Garten. Der ist klein, feucht und dunkel. So ist auch die Wohnung, der Schimmel gedeiht prächtig – aber das ist alles nicht so wichtig. Wichtig ist, dass Elling sein eigener Herr ist, zumindest fast, denn da ist seine Vermieterin Annelore Frimann-Clausen, eine rüstige Dame jenseits der Achtzig, die ihn jeden letzten Sonntag im Monat zum Mittagessen einbestellt, um sich so richtig auszusprechen!
Glücklich macht ihn, dass Annelore großes Vertrauen in ihn setzt. Wird er dieser Aufgabe gerecht werden können? Oder ist sie womöglich eine Falle? Freude und Sorge gehören fest zueinander in Ellings Leben. Annelore ist nicht die einzige Frau, die in sein Leben getreten ist. Da sind auch die beiden attraktiven Kassiererinnen bei Spar, eine anziehender als die andere. Oder die Assistentin seines Arztes Dr. Borg, mit der versteht er sich schnell wortlos. Er rechnet sich durchaus Chancen aus bei einer oder eigentlich allen. Jedenfalls beflügeln sie seine Fantasie mächtig.

Bald wird Elling Stammgast im Buchcafé Schwan, betrieben von jungen Leuten mit literarischen Ambitionen. Als er zu erkennen gibt, dass er der letzte Freund des vergessenen Dichters Alfons Jorgensen ist und einen Artikel in der Literaturzeitschrift „Schwan“ in einem kleinen, aber wichtigen Detail korrigieren kann, führt dies zu einem Interview mit der wichtigsten Kulturzeitschrift Oslos, also Norwegens, geführt mit Bente, der Kulturpäpstin. Dieses Gespräch gestaltet er mit dramaturgischem Anspruch, sein Stolz kennt keine Grenzen, als er seinen Namen gedruckt im Magazin des Dagbladets sieht.

Im Inhaltsverzeichnis: Mein eigener Name mit Verweis auf die Seiten 32–34, ja, es sind mein Vor- und mein Nachname, die mich an diesem Tag aus Dagbladets Hochglanzmagazin anstrahlen. Und in mir steigt ein innerer Jubel auf, braust im Hinterkopf, ich denke an meine tote Mutter, und wie sehr sie sich gefreut hätte, wie dieses Ereignis – ihr eigener Sohn, der ruhig und gelassen die Fragen einer Journalistin von einer von Norwegens meistgelesenen Wochenendbeilagen beantwortet – vieles von dem Schlimmen ausgeglichen hätte, das sie durchmachen musste, als noch niemand begriffen hatte, dass ich etwas ganz Besonderes in mir trug, ja etwas Einzigartiges, das eines Tages durch meine Rüstung aus Zweifel und Selbstverachtung brechen würde.

Es ist mächtig was los in Ellings Leben. Und dann kommt zum echten Leben noch ein zweites Leben: Er meldet sich bei Facebook an. Doch er ist schlau genug, sich dafür einen anderen Namen zuzulegen. Zur Tarnung? Als Echo seiner selbst? Zunächst tritt er einer Gruppe bei, der er erstmal neuen Schwung einhauchen muss, dann eröffnet er eine neue: „Gastrobaron“. Hier ist er der Chef und jetzt geht es so richtig los.
Und dann ist da auch noch Bjarte, der Kater, er ihm zuläuft bzw. den er mit köstlichen Wurstbroten anlockt. Der ihn wieder in die richtige Bahn bringt, wenn andere ihn aus selbiger geworfen haben.

Von den Schwierigkeiten der Begegnung, im Leben und im Netz – mit dieser Überschrift könnte man diesen köstlichen Roman versehen. Elling ist eine so wunderbare Figur, skurril und tragisch, und vor allem unglaublich fantasievoll. Es ist eine Freude, seinen Gedanken zu folgen, denn ihm genügt die kleinste Kleinigkeit, und sein Geist entzündet sich. Er schauspielert gerne, weiß auch genau, warum, meist, um sich ein bisschen wichtiger zu machen, als er sich fühlt. Er legt großzügig gute Eigenschaften in Menschen hinein, die er gar nicht kennt.
Er ist sehr bemüht, es Annelore in jeder Hinsicht recht zu machen, schließlich ist sie die Herrscherin seines Reiches. Zwar bewegt er sich meist lediglich zwischen Sockeletage, Sigurdsbude, Spar, Dr. Borg und Buchcafé Schwan, doch seine Gedanken und Überlegungen sind so weiträumig, dass der Roman keinen Eindruck von Enge aufkommen lässt. Elling muss nicht in die weite Welt fahren, um Abenteuer zu erleben. Die finden sich für ihn an jeder Ecke.

Petra Lohrmann

 

  • Ingvar Ambjørnsen: Echo eines Freundes. Ein Elling-Roman. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Hamburg: Edition Nautilus, 2019. 320 Seiten, gebunden. 24 Euro.

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