langsames ermatten im labyrinth ist der zweite Band, den ich von Carl-Christian Elze lese. Und auch bei diesem bin ich wieder betört von der Schönheit der Lyrik. Er ist im Verlagshaus Berlin erschienen, wunderbar illustriert von der Künstlerin Lilli Gärtner. Ungewöhnlich ist dieses Mal, dass der Band zweisprachig ist: Deutsch und im zweiten Teil, der sich auch farblich abhebt, Italienisch. Nicht von ungefähr, haben doch die Gedichte zum großen Teil einen Bezug zu Venedig.
„etwas greift in dich ein, in dein biologisches gerüst
als ständen hinter jeder biegung träume
auf den schienen: deine züge entgleisen
deine gedanken, auch deine bewegungen
verwackeln, jemand übernimmt die kontrolle
im dogenpalast deiner zellen: deine schultern
und deine beine beginnen zu zucken, nachts,
und immer öfter am tag im rhythmus …“
Schon das Cover strahlt in blauer Tiefe mit metallisch glänzendem Titelschriftzug. Innen wird es dann Pastell. Zarte, feine Motive, die sich filigran zwischen die Gedichte schmiegen. Textteil wechselt mit Bildteil ab. Das Buch ist fadengeheftet und mit vom Umschlag verdeckter japanischer Bindung. Unterschiedliche feinste Papiersorten wurden ausgewählt.
Elzes Gedichte erzählen von einem Venedig weitab der Touristenperspektive (Der Autor war als Stipendiat des Deutschen Studienzentrums drei Monate dort.). Schon im Eingangsgedicht (s. o.) spürt man, dass der Dichter versucht hat, die Stadt zu durchdringen, es ihm aber trotz seines längeren Aufenthalts nicht gelungen ist, was bei einer Stadt wie Venedig vielleicht auch ganz unmöglich ist. Das macht aber nichts, denn ob Elze aus der Perspektive einer Eintagsfliege auf die Stadt blickt oder im Zimmer Wagners dem Komponisten kurz vor seinem dortigen Tod über die Schulter blickt, immer ist es ein etwas anderer Blick. Immer bleibt ein Geheimnis.
eine art tier, das sich zu dir legt und dich wärmt
einen gedanken, der still hält und dich anhält
in deiner verzweifelten magie, eine art wolke,
die flüstert … für einen kurzen moment.“
Immer wieder zeugen die Gedichte davon, wie es dem Autor geht, wie der Körper auf die Stadt reagiert, wie der Geist aus dem Lot gerät ob der ganzen Kunst, der labyrinthischen Gassen, der vielen sinnlichen Eindrücke. Die Stadt als Spiegel des Selbst, das Ich auflösend? Überreaktionen, vielleicht gar das Stendhal-Syndrom? Und das Telefon verloren und zwinkernde Krankenschwestern. Doch dann gleicht sich alles wieder aus. Am Schreibtisch, den ruhig atmenden Hund zu Füßen.
Elze schreibt alle Gedichte in Kleinbuchstaben, unterschiedlich formatiert, oft finden sich Einschübe, viele Zeilenbrüche, auch gestaltete konkrete Poesie. Form scheint genauso wichtig wie Inhalt zu sein. Ich kann den Gang durch diese venezianische Bildergalerie nur empfehlen. Denn sie leuchten, diese Gedichte, so hell wie die Tintorettos oder Bellinis oder so glitzernd wie die sonnenbeschienenen Wasser der Kanäle.
Marina Büttner
(verändert, Originalbeitrag auf literaturleuchtet)
- Carl-Christian Elze: langsames ermatten im labyrinth. Verlagshaus Berlin 2019. 208 Seiten, Softcover, 16 Illustrationen von Lilli Gärtner. Übersetzungen ins Italienische von Daniele Vecchiato. 24,90 Euro