
Mit seinem Krimi-Debüt Der Dschungel von Budapest gelingt dem Münchner Autor Jerome P. Schaefer ein Pageturner. Schaefer erzählt von Betrug, Bestechlichkeit und staatlicher Korruption im wilden Osten der Nachwendezeit der 90er-Jahre. Der amerikanische Ex-Boxer Tamás Livermore schlägt sich als Privatdetektiv durch die Unterwelt der berühmten Stadt an der Donau. Die herrschaftlichen Bauten entlang der Platanen gesäumten Alleen, die Gründerzeitvillen in den Budaer Bergen erinnern hier nicht an vergangene Glanzzeiten, sie sind Fassade für Korruption und krumme Geschäfte. Schauplatz der Handlung ist das Budapest der schmuddeligen Kneipen, der Zuhälter geführten Box-Gyms, der Industrieanlagen und des Plattenbaus. Bombenanschläge erschüttern die Stadt, der Machtkampf wütet zwischen ungarischen Mafia-Clans und ihren russischen, ukrainischen Pendants. Die Politik scheint machtlos zu sein. Doch ist sie das? Ein Roman noir, der auf Tatsachen beruht, so der Klappentext. Erschienen ist er im Berliner Transit Buchverlag, der letztes Jahr sein vierzigstes Verlagsjubiläum gefeiert hat. (Wir gratulieren noch heute!)
Der stadtbekannte Mafia-Anwalt Béla Doi hat sich mit der Ölmafia verpokert und ist Opfer eines Bombenanschlags geworden. Vor seiner Ermordung hatte Doi den Privatdetektiv Tamás Livermore für den Schutz seiner Frau und Tochter angeheuert. Mit Witwe und Tochter nun in seiner Obhut begibt sich Livermore auf die Spuren der Attentäter, in der Hoffnung dabei etwas für sich herauszuschlagen.
Die Rechnung war einfach: So wie Béla Doi sich verhielt, hatte er entweder in die eigene Tasche gewirtschaftet oder sich mit den jungen Wilden aus dem Osten eingelassen, den Mafia-Clans, die aus Russland und der Ukraine nach Ungarn drängten. In beiden Fällen waren Geschäftsleute schon für kleinere Vergehen kaltgemacht worden.
Livermore gerät in den Besitz von Dokumenten, die den ungarischen Geheimdienst und selbst Regierungskreise belasten und in Verbindung mit der slowakisch-ungarischen Mafia bringen.
Schaefer erschafft mit dem wortkargen Livermore, der auf nüchternen Magen einen Whisky kippt, eine Hardboiled-Detektivfigur mit Markenzeichen Schnurrbart und Lederjacke. Doch ist der abgebrühte Ex-Boxer kein Philip Marlowe, dafür fehlt es ihm an trockenem Humor und diesem gewissen Etwas vom Typ einsamer Wolf, den ein Hauch Sentimentalität umweht. Tamás Livermore ist mir weder so recht Fisch noch Fleisch. Es wird nicht klar, was den Amerikaner eigentlich treibt. Gerechtigkeitssinn, persönlicher Idealismus, die Flucht vor sich selbst? Oder ist es nur die Verheißung auf das schnelle Geld im „Dschungel des Ostens“?
Das Sonnenlicht war fahl und gelb, die Hauswände grau, die Fensterscheiben schmutzig und blind. Das war nicht das pittoreske Budapest aus der Touristenwerbung. Aber Tamás liebte die Stadt, er liebte sie so, wie sie war. Hier fühlte er sich zuhause.
Was brachte Livermore einst nach Budapest, in die Stadt, die er nun sein Zuhause nennt? Und was liebt er an ihr? Der ungarische Vorname fällt auf, besteht eine familiäre oder emotionale Verbindung? Und spricht er eigentlich ungarisch? Für einen Amerikaner wäre das ungewöhnlich. Die Person des Privatdetektivs aus Philadelphia bleibt im Verborgenen.
Neben Livermore wimmelt es im Roman von stereotypen Nebenfiguren wie den Wasserstoffblondinen mit Brüsten, die aus dem Bikini quellen, dem hünenhaften Bodyguard, Kommissar Molnár, der einem Yves Montand oder Alain Delon gleicht. Auch die Anwaltswitwe, Zsófia Doi, ist mit einer Schablone gezeichnet. Sie hinterlässt den Eindruck einer Sekretärin, die ihren Chef geheiratet hat – die Lippen etwas zu rot, die Haare etwas zu stark gestylt, der Hüftschwung, die Beine delikat und schlank. Diese Klischees seien dem Kriminalroman verziehen, weil das Genre Überzeichnung gebietet. Doch es fehlt den Figuren ein Innenleben, das sie in ihren Widersprüchen darstellt und abseits des Klischees interessant werden lässt. Zsófia Doi ist ebenso wortkarg wie ihr Beschützer. Nicht nur Livermore fragt sich, ob sie um ihren getöteten Mann trauert oder doch nur an die Schweizer Banknoten will.
Dass es nicht zum Verhältnis zwischen Schützling und Beschützer kommt, habe ich anerkennend vermerkt, doch es kommt auch zu sonst nichts zwischen ihnen. Die Zeit wird nicht reif für ein Gespräch, Witwe und Tochter werden entführt, der Fall Doi von der Polizei fallen gelassen. Kommissar Molnár streicht persönlich ein paar Namen von Toten aus den Akten.
Der Roman lebt von der aktionsreichen Handlung, nicht von seinen Figuren, was ihn allemal zu einem spannenden Krimi macht. Das Ende ernüchtert. Livermore wird nicht zum Helden, der Roman jedoch umso realistischer und damit dem Genre des „Noir“ gerecht. Der Amerikaner verschwindet grußlos in den Straßen von Budapest. Was geschehen war, war geschehen. Letztlich geht ihn alles nichts an.
Dank an Nikoletta Kiss
- Jerome P. Schaefer: Der Dschungel von Budapest. Schwarzenbach: Transit Buchverlag 2021. 144 Seiten, gebunden. 18 Euro
Wir freuen uns über eine Unterstützung unserer Autor:innen!