
Ich schreibe diesen Text, wie ich nun all meine Texte schreibe, in Zeitfenstern, Zeitlöchern, in einem Paralleluniversum, ungekämmt, indifferent gelaunt, laut lachend über dieses neue Leben, das alle Selbstverständlichkeiten implodieren lässt. Ich zähle die Summe der einzelnen Teile der Vereinnahmung, arbeite gegen die Mechanismen der Vereinnahmung. Welche Geschichte werde ich jetzt erzählen?
So lauten einige kraftvolle Zeilen der Schriftstellerin Sandra Gugić aus dem neu im Leykam Verlag erschienenen Gemeinschaftsbuchprojekt Mutter werden. Mutter sein von 15 Autorinnen, herausgegeben von Barbara Rieger. Erfahrungsberichte sind sie alle, manche in Kurzgeschichten verpackt, einige in Essays und viele der Wahrheit nachempfunden. Der Wahrheit einer Mutter. Wenn Barbara Rieger KollegInnen für Buchprojekte zusammentrommelt, liegt immer ein bisschen Magie in der Luft. Und am Schluss kommt ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk heraus. Auch hier.
Und los!
Liebe Barbara, let’s get going: Wovon möchtest du deinem Kind nie erzählen müssen (um es zu beschützen)?
Was es essen und nicht essen soll. Wie es aussehen und nicht aussehen soll. Wen oder was es lieben und nicht lieben soll.
Wovon sollte man seinem Kind unbedingt erzählen (um es zu beschützen)?
Ich denke, man sollte seinem Kind auf alle Fragen möglichst ehrlich antworten, dem Alter entsprechend. Auch in Bezug auf sich selbst.
Wie sehr haben deine Erfahrungen als Nicht-Mutter deine Erfahrungen als Dann-schon-Mutter beeinflusst?
Ich bin ja als Mutter erstmal dieselbe Person geblieben wie als Nicht-Mutter, mit den gleichen Bedürfnissen, Gewohnheiten, Vorlieben, Ängsten und Neurosen. Als Mutter musste ich dann lernen, meine Bedürfnisse hintenan- und meine Gewohnheiten umzustellen. Als Autorin bin ich es zum Beispiel gewohnt, sehr frei und selbstbestimmt zu leben, das ist vorbei. Dafür versuche ich nun, mein Kind möglichst frei und selbstbestimmt sein zu lassen. Ich denke, dass das Mutterwerden nicht auf einmal mit der Geburt passiert, sondern dass es ein längerer Prozess ist. Am Ende ist frau dann vielleicht doch nicht mehr so ganz dieselbe Person.
Du fragst, was auf dich zukommt. Du fragst nach den Gefahren der muttergewordenen Zeit. Du fragst nach unserem Schreiben, von dem du fürchtest, es werde sich nach der Geburt verändern (im besten Falle) wie die Stimme einer Sängerin nach einer Schwangerschaft, oder aber es werde (im schlimmsten Falle) versiegen. Du fragst mich, ob ich denke, dass auch du selbst mit deiner Literatur verschwinden wirst. (Elena Messner)
In welchem Zeitraum ist Mutter werden. Mutter sein entstanden und wie war die Zusammenarbeit mit deinen Kolleginnen?
Es war ehrlich gesagt ein eher spontanes Projekt. Als ich Ende 2019 schwanger wurde, habe ich angefangen, vermehrt Texte von Autorinnen zum Thema Mutterschaft zu lesen und dachte dann irgendwann – ich glaube, da war ich schon Mutter –, dass es schön wäre, ein Buch mit einer Sammlung solcher Texte herauszugeben. Tanja Raich und ich haben uns Anfang dieses Jahres an die Arbeit gemacht, Autorinnen und Texte zusammengesucht. Es gab einige Autorinnen, die schon Texte zu dem Thema hatten, die sie für die Anthologie zur Verfügung stellten. Andere haben in relativ kurzer Zeit etwas Neues geschrieben. Viele haben sich richtig gefreut, dass wir eine Anthologie zu diesem Thema machen. Die Zusammenarbeit war problemlos und schön.

Wie fühlen die biologischen Mütter meiner Söhne? Manchmal reden wir über Afrika, mein Sohn und ich. Es sind seltsame Gespräche über ihre leiblichen Mütter, die für mich so mystisch sind und für meine Söhne eher lästig. Möchtest du über deine afrikanische Mutter reden? Soll ich dir etwas erzählen? Was wissen wir überhaupt über sie? Warum gibt es Rassismus? Es sind biografische Dehnungsübungen gegen die Unsicherheiten, die schon da sind und die vielleicht noch kommen werden … (Gertraud Klemm)
Gab es sprachliche Vorgaben für das Buch? Oder nur die Richtung „Lasst uns unsere Erfahrungen zusammenwerfen“?
Die einzige Vorgabe war, einen Prosatext zu schreiben, keinen lyrischen.
Ein Mädchen. Die Wunderbare. Die Göttliche. Hässlich, verschrumpelt. Du armes Ding! Aber mit einer Stärke, die ihresgleichen suchte. Das warst du, Norellie. Mutter stand im Krankenhaus am Bett. Es roch nach Desinfektionsmittel und vergorener Milch. Die Wintersonne schien zum Fenster hinein. Sie betrachtete dich und sagte: »Noch so ein Unglück« … (Katja Bohnet)
Mich haben die Beiträge sehr begeistert, im Besonderen die von Sandra Gugić, Katja Bohnet, Franziska Hauser, Nava Ebrahimi, Elena Messner und deiner. Das Buch ist hochkarätig besetzt. War es schwer, deine Kolleginnen für dieses Buchprojekt zu interessieren?
Danke! Ja, den Beitrag von Sandra Gugić habe ich während meiner Schwangerschaft in der Zeit online gelesen und war total begeistert. Ich bin sehr froh, dass wir ihn im Buch haben. Die anderen Beiträge, die du ansprichst, kamen dann per E-Mail und ich las sie am Handy, während mein Baby schlief. Bei manchen Stellen kamen mir die Tränen und ich will das nicht nur auf meine Hormone schieben ;- )
Bei meinen Anthologieprojekten gibt es seitens der Verlage oft den Wunsch nach bekannten Namen. Andererseits sind die Honorare leider nicht sehr hoch. Die Autorinnen in dieser Anthologie haben also sicherlich aus Interesse am Thema mitgemacht. Andere waren durchaus interessiert, hatten aber gerade keine Zeit. Ich bin mit der Auswahl sehr zufrieden, wenn es auch noch viele Autorinnen mehr gäbe, die ich mir in diesem Projekt hätte vorstellen können.
Was ich denke: dass er mich aufschneiden will, meine DÜNNE Bauchdecke, meine Gebärmutter, dass ich nicht bei Bewusstsein sein will, wenn sie mich aufschneiden HINTER EINEM VORHANG, dass ich keine Vollnarkose will, wie meine Mutter bei meiner Geburt, dass der Mann in diesem Fall, dass in meinem Fall zumindest der Mann das BONDING übernehmen kann, übernehmen soll, muss, habe ich gelesen, und dass eine Geburt nicht PLANBAR ist, AUSSER. (Barbara Rieger)
Was ist (für dich) die größte Dissonanz zwischen dem Mutterwerden und dem Muttersein?
Schwangerschaft und Geburt habe ich als unglaublich spannende, intensive Prozesse erlebt, Ausnahmesituationen, die aber zeitlich begrenzt sind. Das Mutterwerden fängt aber nach der Geburt erst so richtig an und das Muttersein hört wohl nie auf. Außerdem: Wenn wir schwanger sind, dann dreht sich alles um uns, wenn das Kind dann da ist, müssen wir aufpassen, dass wir uns als Person nicht komplett auflösen.
Was bedeutet der Spruch „Man bekommt die Kinder, die man braucht“ für dich?
Egal, was man bekommt, es hilft wohl, sich selbst zu sagen, dass man das so gebraucht hat ;- ) Für mich bedeutet der Spruch, dass Kinder einen an Stellen herausfordern, von denen man gar nicht wusste, dass es sie gibt.
Ich wollte nie viel Geld brauchen müssen und das Kinderhaben als Selbstverständlichkeit ansehen, nicht als Belastung. Belastend war es aber für die Kinder, die immer wiederkehrenden Geldprobleme mitzukriegen. Dass wir uns so oft durchmogeln mussten, gefiel ihnen nicht. (Franziska Hauser)
Danke Anna Herzig und Barbara Rieger!
- Barbara Rieger (Hg.): Mutter werden. Mutter sein. Autorinnen über die ärgste Sache der Welt. Graz/Wien: Leykam Verlag 2021. 216 Seiten, gebunden, 13 x 20,5 cm. 22 Euro. Mit Beiträgen von Helena Adler, Lene Albrecht, Katja Bohnet, Teresa Bücker, Nava Ebrahimi, Andrea Grill, Sandra Gugić, Franziska Hauser, Simone Hirth, Gertraud Klemm, Elena Messner, Lydia Mischkulnig, Barbara Peveling, Verena Stauffer