Mit Anfang zwanzig war Shelagh Delaney eine berühmte und viel gespielte Theaterautorin: Die einzige Frau unter den englischen „Angry young man“ kann man jetzt mit A Taste of Honey in deutscher Neu- und Erstübersetzung entdecken, dank des Berliner AvivA Verlags, dem Verlag für außergewöhliche Frauen, und den beiden Herausgebern Tobias Schwartz und André Schwarck. Der erste deutsche Werkausgabe versammelt Delaneys sämtliche Stücke und Erzählungen.
A Taste of Honey (Bitterer Honig) hieß das Theaterstück, mit dem Shelagh Delaney berühmt wurde. 1958 wurde es uraufgeführt, danach überall nachgespielt, drei Jahre später verfilmt. Die junge Frau, die die Schule abgebrochen, ihre erste Bühnenaufführung erst mit siebzehn Jahren gesehen hatte, wurde zum literarischen Star. Sie war begabt und hübsch und klug, behauptete sich in der Riege der zornigen jungen Männer wie John Osborne oder Harold Pinter, die in den 1950er- und 1960er-Jahren den dramatischen Ton in Großbritannien angaben.
In Delaneys gefeiertem Stück steht ein junges Unterschichtsmädchen im Zentrum: Sie wurde ungewollt von einem schwarzen Matrosen schwanger, ihre trunksüchtige Mutter kümmert sich nicht um sie, ein homosexueller Freund will ihr beistehen, zieht zu ihr, bis die verlotterte Mutter wieder vor der Tür der heruntergekommenen Wohnung steht. Diese genau instrumentierte poetische Sozialstudie hatte die junge Autorin in nur wenigen Wochen geschrieben. Die Verfilmung des Stücks 1961 durch Tony Richardson (Delaney schrieb das Drehbuch und wurde dafür ausgezeichnet) begründete nicht zuletzt das neue englische Kino jener Jahre. Und machte die Hauptdarstellerin Rita Tushingham zum Star. Für den Film komponiert hatte Bobby Scott den Song, den die Beatles dann schnell coverten und der 1965 durch Herb Alperts zum Hit wurde: „A taste of honey“.
Als 1960 ihr zweites Stück The Lion in Love aufgeführt wird, lässt die Kritik kein gutes Haar an dem Drama, das erneut in einem prekären Milieu spielt, wieder von der Unmöglichkeit der Liebe, von einer ungewöhnlichen Frau handelt, die alle Regeln verletzt, und ihrer Tochter, die die gleichen Fehler machen wird wie ihre Mutter. Die Rezensenten, die The Taste of Honey bejubelt hatten, schrieben nun hämische Verrisse. Wenn man das Stück heute liest (in der Neuübersetzung von Tobias Schwartz, der für den Band seltsamerweise den englischen Originaltitel beibehalten hat) versteht man nicht, warum es damals durchfiel, warum man Delaney plötzlich jedes Talent absprach.
Dass ihr trotz dieses Misserfolgs stets eine besondere Aura nachgesagt wurde, dass sie als Autorin überlebte, hat nicht zuletzt mit der besonderen Wertschätzung des britischen Popmusikers Morrissey, Sänger der Indie-Band The Smiths, zu tun, der Zitate aus ihren Werken immer wieder in seine Songtexte einflocht, der sich auf sie bezog, der ihr Foto für die Hülle eines Smiths-Albums benutzte. Sie war zweifellos eine der interessantesten – und aufmüpfigsten – jungen Schriftstellerinnen jener Zeit.
Als Tochter einer Arbeiterfamilie wuchs Shelagh Delaney in Salford, einem Nachbarort von Manchester, auf, über den sie einmal gesagt hat, er sei „a dirty place and a dramatic place“. Mädchen ohne Bildung, benachteiligte Jungen stehen auch im Zentrum ihrer Erzählungen, die die Herausgeber den Dramen voranstellen. Hoffnungslosigkeit und verlorene Träume, eine Existenz ohne Illusionen bestimmen das Leben der literarischen Heldinnen und Helden dieser ungewöhnlichen Autorin, die heute als eine Ikone des Feminismus ebenso wie der englischen Dramen- und Popgeschichte gilt. 2011 ist sie im Alter von zweiundsiebzig Jahren gestorben.
Manuela Reichart
(adaptiert, Originalbeitrag auf Deutschlandfunk Kultur)
- Shelagh Delaney: A Taste of Honey. Hrsg. v. Tobias Schwartz und André Schwarck. Aus dem Englischen von Tobias Schwartz. Berlin: Aviva Verlag 2019. 400 Seiten. 22 Euro