Aglaja Veteranyi: Café Papa / Wörter statt Möbel (Verlag Der gesunde Menschenversand)

«Die kleine Sabine. / Die kleine Sabine legte ihr müdes Buch ins Bett und erzählte ihm eine Geschichte. Nur so kommen die Geschichten in die Bücher rein, hatte Sabine von ihrem Vater gelernt.» So knapp können Aglaja Veteranyis Geschichten sein. Ihren Reichtum entfalten sie nach und nach, denn so schnell lassen sie die Leserin, den Leser nicht mehr los. Sie begleiten uns, die schmalen Bände, erschienen in der edition spoken script im Verlag Der gesunde Menschenversand, wir stecken sie in die Jackentasche, um sie immer wieder hervorzuholen und noch einen dieser vollen Sätze herauszunehmen. Etwa: «‹Du bist ein wunderbarer Mensch›, sagte ich meinem Geliebten. / ‹Ich bin mehr Mensch als wunderbar›, erwiderte er.» Doch sind die Sätze nicht nur wunderbar, sie können wehtun, denn schützen können wir uns nicht vor ihnen. Wie traurig etwa der Satz, hinter dem die Geschichten stehen, die sich in unserem Kopf sofort weiterentwickeln: «Meine Puppen sind im Ausland ganz dünn geworden, sie verstehen hier die Sprache nicht.»

Über Aglaja Veteranyis Texte lässt sich schlecht schreiben – sie müssen gelesen, in den Körper aufgenommen werden, sie entwickeln eine seltsame Spätwirkung, sie hinterlassen Spuren, bleiben unverstanden, machen ratlos. Manche Sätze möchte man auch lieber nicht gelesen haben: «Das Sterben ist das Schönste am Tod» etwa ist so ein Satz, der so rasch nicht mehr loslässt. Denn was würde es bedeuten, wenn es tatsächlich so wäre? Und was wäre dann das Schönste am Leben? Oder ist das die falsche Frage?

Als Aglaja Veteranyi 1967, fünfjährig, mit dem Clown-Vater und der Artistin-Mutter aus Rumänien floh, musste sie bald schon als Tänzerin und Artistin auftreten. Es begann eine zehnjährige, für das Kind äußerst schwierige und belastende Reise durch Europa, Afrika und Südamerika, bis sich die Familie 1977 in der Schweiz niederließ. Aglaja Veteranyi sprach Spanisch und Rumänisch, konnte jedoch kein Deutsch. Bedingt durch die häufigen Ortswechsel konnte sie keine Schule besuchen. Deutsch, gesprochen und geschrieben, brachte sie sich selbst bei und absolvierte eine Schauspielausbildung an der Schauspiel Gemeinschaft Zürich, wo sie später auch unterrichtete. In den 1980er-Jahren arbeitete sie als Schauspielerin in Zürich und begann, erste Texte zu veröffentlichen.
Ihren großen Erfolg erlebte sie mit dem Roman Warum das Kind in der Polenta kocht, der 1999 erschien. Während einer schweren psychischen Krise nahm sie sich im Februar 2002 das Leben. Der Roman Das Regal der letzten Atemzüge blieb unvollendet und erschien postum 2002. Es ist das Verdienst des Verlags Der gesunde Menschenversand und der HerausgeberInnen Ursina Greuel, Daniel Rothenbühler und Jens Nielsen, mit zwei Büchern Aglaja Veteranyi als Autorin wieder in Erinnerung zu rufen. Der Band Wörter statt Möbel versammelt Kurz- und Kürzestgeschichten, Gedichte, Sprüche und Tipps sowie Minidramen und den Monolog «Mamaia» aus dem Nachlass der Autorin, Café Papa enthält vier längere Prosatexte, darunter die Urfassung des Romans Warum das Kind in der Polenta kocht (der Roman ist als Taschenbuch bei Penguin nach wie vor lieferbar). Jens Nielsen, ihr rechtmäßiger Erbe, schreibt in seinem Nachwort: «Aglaja Veteranyi lehrte mich, die Unlogik zu pflegen. Nicht nur beim Schreiben, auch beim Sprechen und also im Alltag. … Für Aglaja Veteranyi aber war die Unlogik Kraftstoff. Regelmäßig tankte sie sich damit auf.» Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn auch wir von der Autorin die Unlogik lernen würden.

Liliane Studer

  • Aglaja Veteranyi: Café Papa. Luzern: Verlag Der gesunde Menschenversand, edition spoken script, 2018. 152 Seiten, TB. 18,50 Euro.
  • Aglaja Veteranyi: Wörter statt Möbel. Luzern: Verlag Der gesunde Menschenversand, edition spoken script, 2018. 180 Seiten, TB. 18,50 Euro

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