Auf die Teller geschaut haben die Herausgeber Tobias Roth und Moritz Rauchhaus dieses fulminanten Historienbandes WOHL BEKAM’S: Sie präsentieren 1873 Gerichte aus 818 Jahren, erzählen Geschichten und zeigen Geschichte anhand von Menükarten. Erschienen ist der Leckerbissen im Herbst 2018 im Berliner Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, der gerade einmal zwei Jahre alt ist und mit „heiterer Gelassenheit, Widerborstigkeit und Liebe zur Buchkunst“ staunenswerte Bücher macht.
Der Blick auf vergangene Menüfolgen gewährt eine Geschichtsschreibung der besonderen Art. Was und zu welchem Anlass wurde aufgetischt, warum werden etwa Käsestangen 1894/95 plötzlich populär und warum wird das Servieren „à la française“ (alle Gerichte stehen gleichzeitig auf dem Tisch) Anfang des 19. Jahrhunderts durch den „service à la russe“ (die Speisen werden hintereinander serviert) abgelöst? Menükarten sind historisches Material, das es genauer zu betrachten lohnt. „Dieses Buch versammelt in der Hauptsache die Menus der großen Weltgeschichte, obwohl diese selbstverständlich nicht bedeutender war als die kleinere Privatgeschichte.“ Das imposante Hochzeitsbankett von Napoleon kommt hier ebenso vor wie ein modern anmutendes Gabelfrühstück im Hause Goethe, das karge Abendessen in einem westfälischen Armenhaus am 13. Oktober 1856, die mitternächtlichen Snacks, die Elvis Presley am 27. August 1965 auftischen lässt, als ihn die noch schüchternen Beatles auf ihrer ersten Amerika-Tournee besuchen, das erste Menü auf dem Mond, das letzte Staatsbankett von Präsident Obama oder ein „Vegetarier-Festmahl“ 1874. Der daran teilhabende Korrespondent des Dresdner Anzeigers klagte damals über ziemlich kleine Portionen, die beiden klugen Herausgeber kommentieren heute: „Es ist doch beruhigend und erschreckend gleichzeitig, wenn vermeintlich moderne Debatten ihren langen historischen Bart offenbaren. Der Vegetarismus gehört nicht nur in die Umweltbewegung des ausgehenden 20. Jahrhunderts oder auf Partys zwischen Brooklyn und Prenzlauer Berg. Die Geschichte beginnt schon lange zuvor und wird im 19. Jahrhundert mit nicht weniger Sticheleien als heute geführt.“
Allein die Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek umfasst mehr als 3000 Menükarten, die privaten und öffentlichen Sammlungen sind reich an diesem außergewöhnlichen historischen Material, das Alltagsgeschichte lebendig macht. Es läuft einem bei der Lektüre dieses hinreißend schön gestalteten Buches nicht nur das Wasser im Mund zusammen, man lernt auch, dass unter Gesichtspunkten von Speiseauswahl und Gästebewirtung zweitausend Jahre manchmal nur eine kurze Zeitspanne sind.
Manuela Reichart
- Tobias Roth und Moritz Rauchhaus (Hg.): WOHL BEKAM’S. In hundert Menus durch die Weltgeschichte. Sammlung. Berlin: Verlag Das Kulturelle Gedächtnis 2018. 336 Seiten, Hardcover, reich illustriert. 28 Euro