Dagny Juel: Flügel in Flammen (Weidle Verlag)

Geboren wurde Dagny Juel am 8. Juni 1867 in der kleinen südostnorwegischen Stadt Kongsvinger in eine alteingesessene Familie, die dort zum alten dänischen Adel gehörte. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Konzer­tpianistin, trat aber nie öffentlich auf, saß stattdessen später dabei, wenn ihr Ehe­mann sich dilettantisch am Klavier zur Schau stellte. Sie entschied sich früh für ein selbstbestimmtes Leben und wurde zum Mittelpunkt einer Berliner und später Krakauer Boheme. Dass sie auch Schriftstellerin war, wurde lange vergessen. Ihre Schrif­ten liegen seit 1996 in Norwegen vor, nun gibt es endlich eine deutsche Ausgabe ihrer gesammelten Werke im Weidle Verlag zu bestaunen.

Sie ist schön, klug und begabt, eine mutige und außergewöhnliche junge Frau, die mit Anfang zwanzig aus ihrem Heimatland nach Berlin aufbricht. Und hier ­­– Ende des 19. Jahrhunderts ­­– zum Zentrum des nordischen Künstlerkreises wird, den es damals in Berlin gibt. Vielleicht hat der eine oder die andere sie schon einmal gesehen: auf einem Bild ihres Freun­des, des großen norwegischen Malers Edvard Munch, der sie ebenso umschwärmt wie Au­gust Strindberg, der später, weil er nicht erhört wird, üble Gerüchte über sie in Umlauf bringt. Ein anderer Ver­ehrer, der Schriftsteller Julius Meier-Graefe schreibt: Sie nicht ge­sehen zu haben, „ist der Verlust einer durch nichts zu ersetzenden Erfahrung“. Aber alle, die von ihr schwärmen, die sie er­wähnen, berichten von ihrer Schönheit, nie­mand erinnert an ihre Gedichte, Geschichten und kleinen Bühnen­stücke, die damals durchaus veröffentlicht werden. Es ist ein schmales und eindrucks­volles Werk, das jetzt zum ersten Mal auf Deutsch vorliegt.

Es geht darin um die Liebe, das Verhältnis von Frau und Mann, um Eifersucht und Leidenschaft. Kein frauenbewegter, kein emanzipatorischer Blick auf die existenziellen Fragen ist hier zu finden, sondern einer, der sich radikal gegen Konventionen und Zugeständnisse richtet.
In einer ihrer kurzen Geschichten geht es etwa um die Frage, ob man aus Liebe morden darf. In einem Büh­nen­stück ist es ein alter Geliebter, der ­­– wie in Ibsens Frau vom Meer ­­– die Protagon­istin zurückholen will, dem sie rauschhaft in die Arme sinkt. Nach dem Er­wachen aus der Leidenschaft wird sie sich umbringen, aus Liebe zum von ihr betrogenen Ehe­mann.
Nein, das ist kein Stoff, in dem wir eine frühe Feministin erkennen können. Jedenfalls wenn wir nach den bekannten Mustern suchen und lesen. Wir finden dafür eine entschiedene Auto­rin, die allein dem Gefühl vertraut, jedoch dabei ­­– und das macht nicht zuletzt ihr schmales Werk aufregend ­­– niemals auf weibliche Unschuld setzt.

In dem umfangreichen und kenntnisreichen Nachwort des Übersetzers Lars Brandt heißt es: „Ihre Dichtung handelt im Kern durchweg von erotischen Dreiecksverhältnissen und davon, welche Gewichte sie den Beteiligten auflasten. Werk wie Leben Dagny Juels drehten sich um die nicht zu bändigende Macht der Liebe, die sich nicht darum schert, was sie an Glück oder Unglück produziert, wenn sie sich über alles andere hinwegsetzt.“
Das Werk, aber auch und vor allem das Leben dieser Schriftstellerin ist von Unabdingbarkeit geprägt: Geheiratet hat die von vielen Umschwärmte zielsicher den falschen Mann: den polni­schen Autor und Satanisten Stanislaw Przybyszewski. Bei ihm fand sie die große, zwingende Leidenschaft, obwohl er parallel eine zweite Familie hatte. Um sexuelle Treue ging es wohl beiden nicht, aber das Paar bekam bald zwei Kinder und hatte wenig Geld, er behandelte sie übel, sie suchte immer wieder Unterschlupf bei ihrer Familie in Norwegen.
Im Juni 1901 wurde Dagny Juel umgebracht, auf einer Kaukasusreise von einem Anhänger ihres Mannes. Der Mörder meinte wohl im Auftrag von Przybyszewski zu handeln. Der schrieb denn auch später von seiner Freude darüber, die unge­liebte Ehefrau auf diese Weise losge­worden zu sein. Dagny Juel wurde nicht einmal vierunddreißig Jahre alt.

Manuela Reichart
(adaptiert, Originalbeitrag auf Zeitpunkte, rbbKultur)

  • Dagny Juel: Flügel in Flammen. Gesammelte Werke aus dem Norwegischen und mit einem Essay von Lars Brandt. Bonn: Weidle Verlag 2019. 171 Seiten, Broschur. 20 Euro.

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