Nicht jeder Verlagsname hat einen „Untertitel“. Und wenn doch, dann fällt dieser schon maximal auf, wie bei ebersbach & simon. Dieser trägt nämlich den Zusatz frauen.erlesen, und damit ist eigentlich schon alles gesagt. Das Programm des 1990 gegründeten unabhängigen Verlags, mit heutigem Sitz in Berlin, dreht sich fast exklusiv um „Literatur von und über außergewöhnliche Frauen“. Ein schillerndes Feld für Belletristik, Sachbuch und Wissenschaft. So finden sich etwa Bücher über Weiblichkeit, Audrey Hepburn, Marilyn Monroe, überhaupt über Leinwandgöttinnen und seit diesem Februar ein bewegender Roman über Max Liebermanns Witwe Martha./red
Sophia Mott: Dem Paradies so fern
Das Paradies ist lange schon verloren, es war das schöne große Haus am Wannsee mit dem weitläufigen Garten, der nach genauen Vorgaben des Eigentümers angelegt worden war. Max Liebermann, Professor der Akademie der Künste, gefeierter Maler, alteingesessener Berliner – er hatte das Haus am Rande der Stadt erbauen lassen, es war Rückzugsort für die Familie, aber auch Ort großer Feste.
Der Roman stellt Martha Liebermann (1857–1943) in den Mittelpunkt. Die beiden heirateten 1884, da war Max noch nicht der berühmte Maler, aber er kam aus guter Familie. Sie kannten sich seit Kindertagen, die Familien waren eng befreundet, Berliner Juden, die sich niemals als Fremdkörper in der aufstrebenden Stadt empfanden.
Die Fragen: Weggehen? Wohin? stellen sich 1933. Aber man ist Teil der Gesellschaft, teilt die Traditionen und Werte, religiös sind beide nicht. Diese Haltung verhindert eine rechtzeitige Ausreise. Max stirbt im Februar 1935, er hat die Anfänge des Nationalsozialismus erlebt, Martha muss mit über achtzig Jahren fürchten, in ein Konzentrationslager verschleppt zu werden.
Im Kern handelt das Buch vom Kampf einiger Männer und Frauen um die Ausreisegenehmigung aus Deutschland und die Einreiseerlaubnis in die Schweiz oder nach Schweden für Martha Liebermann. Es handelt von Mut und dem Verantwortungsbewusstsein einiger weniger, die in der neuen Zeit alte Tugenden hochhalten und dafür ihr Leben riskieren.
Es beginnt im Herbst 1941. Martha denkt an die Vergangenheit bzw. träumt sich in sie zurück. Sie sieht ihren Mann, die Tochter Käthe, die Enkelin Maria, den Dackel, merkwürdigerweise Riezler, den Schwiegersohn, nie. Dabei ist es ihm zu verdanken, dass Käthe und Maria in Sicherheit sind. Riezler hat eine Professur in New York angenommen, sie sind rechtzeitig emigriert. Martha wollte nicht mitkommen. Alles zurücklassen, das ganze Leben, und den Kindern auf der Tasche liegen?
Nun ist es zu spät. Martha hatte die Wohnung am Pariser Platz verlassen und eine kleinere am Tiergarten genommen. Das Haus am Wannsee hatte sie 1940 zu einem Spottpreis an die Reichspost verkaufen müssen. Ihr gesamter Besitz ist registriert oder eingefroren, um eine Ausreisegenehmigung zu bekommen, müsste Martha die astronomische Summe von 50.000 Schweizer Franken bezahlen – das ist unmöglich. Sie hätte zwar Bürgen und Möglichkeiten, in der Schweiz oder in Schweden zu leben, aber sie hat keine Chance, Deutschland zu verlassen.
Albrecht Graf von Bernstorff und Edgar Baron von Uexküll sind es vor allem, die alle ihnen zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung setzen und große persönliche Risiken eingehen, um Martha zu retten. Einige andere sind ebenfalls daran beteiligt. In diesem Kreis wurde auch die Frage gestellt, warum man einer fünfundachtzigjährigen Frau zur Flucht verhelfen, das viele Geld aufbringen solle, ob es nicht sinnvoller sei, jüngere Menschen zu retten. Diese Überlegungen verbitten sich die genannten Herren – für sie geht es darum, ein Menschenleben zu retten, das Leben einer Person wird nicht mit Nützlichkeit gegengerechnet.
Erwähnt seien hier aber auch die beiden Dienstmädchen Marie und Alwine, die entgegen allen Verordnungen bei Martha bleiben – bis zum Schluss.
Der Roman erzählt in zwei Strängen: die aktuelle Situation Marthas von 1941 bis zu ihrem Tod 1943, dazwischen sind Rückblicke eingearbeitet, die von der Kindheit über die Jugend bis in die lange gemeinsame Ehe mit Max das Leben einer Frau erzählen, die immer im Schatten des großen Malers stand. Diese Erzählweise macht den Roman zugleich zu einer Biografie und zu einem Stück über die Epoche, der reich ist an kulturellen und politischen Details und gesellschaftliche Entwicklungen genau nachzeichnet. Martha erscheint als eine Person der Zeit. Sie hing keinen emanzipatorischen Ideen an, sie führte das Haus – eine nicht zu unterschätzende Aufgabe – und sie war Ehefrau.
Als Martha anfing, Max Leben zu teilen, da teilten sie sich sein Leben und nicht ihres. Im Übrigen war die Teilung nicht einmal halbe-halbe. Er bekam drei Viertel, ein Viertel war ihres oder neun Zehntel seines und nur ein Zehntel ihres. Mit zunehmendem Alter erschien ihr das Verhältnis immer ungleicher (…) Wunderbar und am Anfang ihrer Ehe nicht vorhergesehen oder gar erwartet, die Ehrungen, die in der zweiten Lebenshälfte auf ihn und damit auch auf sie niederregneten (…) Natürlich tat das gut, auch wenn es ihren Groll auf seine Marotten immer weniger linderte. Dennoch gab es nie Zweifel. Ein anderes hätte kein besseres Leben sein können. Unebenheiten mussten ertragen werde wie Krankheiten.
Martha scheint mit ihrem Leben an Max‘ Seite zufrieden gewesen zu sein. Ihre letzten acht Lebensjahre, ihre Jahre als Witwe, waren zu sehr von der Politik geprägt, von den täglichen Entbehrungen, Beleidigungen und schließlich der Gefahr der Deportation, dass sie sich, wenn nicht mit der Vergangenheit, dann mit dem Tod beschäftigte. Als die Polizei kam, um sie abzuholen, war sie vorbereitet.
Petra Lohrmann
(Gute Literatur – Meine Empfehlung)
- Sophia Mott: Dem Paradies so fern. Martha Liebermann. Berlin: ebersbach & simon 2019. 336 Seiten, gebunden. 22 Euro