Helen Weinzweig: Schwarzes Kleid mit Perlen (Wagenbach Verlag)

Im schwarzen Kleid und mit Perlenkette hat sie ihren Mann verlassen und wartet nun an den un­terschiedlichsten Orten auf ihren Liebhaber: Die Geschichte einer ungewöhnlichen Affäre und die eines ebenso ungewöhnlichen weiblichen Aufbruchs. Helen Weinzweigs Roman Schwarzes Kleid mit Perlen ist ein unbekannter feministischer Klassiker. Jetzt ist er auf Deutsch zu lesen, erschienen im Verlag Klaus Wagenbach.

Als der Roman 1981 im Original erschien, war die Autorin Helen Weinzweig Mitte sechzig. Ihre Heldin ist zwanzig Jahre jünger, in ei­nem Alter also, in dem sie zwar nicht mehr alle Blicke auf sich zieht, aber sich selbst­si­cher ihrer Sexualität bewusst ist. Sie ist keine strahlende Erscheinung, wird von Hotelange­stell­ten misstrauisch beobachtet: Kann sie ihre Rechnung zahlen, bleibt sie alleine? Die Frau im un­auffälligen kleinen Schwarzen reist mit einem falschen Pass, der auf den Namen Lola Montez ausgestellt ist, jener skandalträchtigen Tänzerin, die Mitte des 19. Jahrhunderts dem bayrischen König den Kopf verdreht und die Münchner Bevölkerung in Aufruhr versetzt hatte.

Helen Weinzweig (1915 in Polen geboren, 2010 in Toronto gestorben), die als Kind mit der Mutter nach Kanada ausgewandert war und früh geheiratet hatte, erzählt von der Ehefrau eines langweiligen Mannes und der Mutter zweier Kinder, die ihr braves Leben aufgekündigt hat. Ihr Geliebter, der als Spion für eine nicht näher beschriebene „Agency“ tätig ist, hat ihre Existenz auf den Kopf ge­stellt. Ihn trifft sie nach einem kompliziert ausgeklügelten Geheimcode an verschiedensten Orten der Welt, schläft mit ihm (im war­men Süden besser als im kalten Nor­den), liebt und be­gehrt ihn. Sie ist eine ewig Wartende – und das macht sie nicht gerade zum Idealbild einer fe­mini­sti­schen Heldin. Schließlich richtet sich all ihr Sehnen auf den Mann, der kommt oder auch nicht, der sich verkleidet und verstellt, der zu Hause ein braves Ehe­leben führt und daran auch nichts ändern will. Aber diese Geliebte aus Passion und Ent­schluss, diese unsichtbare Frau mittleren Alters im schwarzen Kleid ist auch eine genaue Be­obachterin und kluge Kom­men­tatorin. Sie weiß, dass sie im Bett keine komplizierten Fra­gen erörtern darf, weil das seine Erek­tion stört, sie streitet mit dem Geliebten über weibliche De­mut, betrachtet die männlichen Gäste im Frühstücksraum, denen man weder Orgasmus noch Lügen ansieht: „Mit der Rasur am Morgen hatten alle Männer die vergangene Nacht abge­kratzt und richteten nun den Blick konzentriert auf den kommenden Tag.“

Helen Weinzweig war eine spät entwickelte Autorin. Als ihr erster Roman erschien, war sie achtundfünfzig. Und sie schrieb nicht nur kunstvoll und ungewöhnlich, sondern vor allem auch langsam: „Ein gutes Schreibjahr bringt 20 Seiten“, hat sie einmal gesagt. An ihrem zweiten Roman Schwarzes Kleid mit Perlen hat sie sechs Jahre gearbeitet. Vor allem das Ende bereitete ihr Kopfzerbrechen, wie und wo sollte die Heldin dieser weiblichen Odyssee ankommen? Sie lässt sie, die durch Toronto streift, schließlich im eigenen Haus bei Mann und Kindern landen. Dort ist ihr Platz jedoch besetzt, eine andere, nicht besonders attraktive Frau erfüllt inzwischen die ehe­lichen Pflichten. Nach einer surreal beschriebenen Nacht zu dritt im Ehebett, wo die Neue die undankbare sexuelle Rolle der Alten spielen muss, verlässt Shirley Kaszenbowski die Familie erneut: Die Perlenkette überlässt sie ihrer Nachfolgerin, den alten Geliebten tauscht sie gegen einen neuen Mann aus, der ihr nicht zuletzt körperliche Erfüllung verspricht. Eine radikale weibliche Entscheidung.

Manuela Reichart
(Originalbeitrag auf Deutschlandfunk Kultur, adaptiert für den Blog)

 

  • Helen Weinzweig: Schwarzes Kleid mit Perlen. Roman. Aus dem kanadischen Englisch von Brigitte Jakobeit. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach Verlag, Quartbuch 2019. 192 Seiten. 22 Euro. Auch als E-Book.

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