Hohe Auszeichnung für Matthias Burki vom Verlag Der gesunde Menschenversand
Der Verlag Der gesunde Menschenversand wurde 1998 von Matthias Burki und Yves Thomi gegründet. Von Anfang an setzte er auf die damals noch junge Spoken-Word-Szene: Hier fanden die Künstlerinnen und Künstler dank der Publikation vor allem von CDs und Hörbüchern eine Öffentlichkeit, ihre hervorragenden Leistungen wiederum gaben dem Verlag den nötigen Schwung. Für seine Leistungen als Pionier der Spoken-Word-Szene – zu denen neben dem Verlag auch die Mitinitiierung von performativen Veranstaltungen wie Barfood Poetry oder woerdz – Das Spoken Word Festival, das alle zwei Jahre in Luzern stattfindet, gehören – wurde Matthias Burki, der den Verlag seit 2007 alleine leitet, mit dem Preis der Landys & Gyr Stiftung 2018 ausgezeichnet. In der Pressemitteilung hebt die Stiftung weiter hervor, dass es Matthias Burki zudem gelungen sei, „neue gesellschaftliche Gruppen, gerade auch eher kulturferne Menschen und junge Leute für Sprache an sich und für Sprachkunst zu gewinnen und zu begeistern. Insofern kommt ihm auch das Verdienst eines gesellschaftlichen Brückenbauers zu“.
Anlässlich der Preisverleihung am 20. Oktober 2018, im Rahmen des wordz-Festivals in Luzern, würdigte Beat Mazenauer, ein Weggefährte von Matthias Burki seit vielen Jahren, den ausgezeichneten Verleger. Wir danken Beat Mazenauer, dass er uns seine Laudatio zur Veröffentlichung auf dem Hotlistblog zur Verfügung gestellt hat./Liliane Studer
Laudatio auf Matthias Burki
Lieber Matthias, liebe Gastgeber von der Landis & Gyr Stiftung, liebe anwesende Gäste
Über Freunde spricht man nur Gutes – oder wie es im klassischen Latein heißt: De amicis nihil nisi bene. Das versteht sich von selbst – und es trifft sich vortrefflich mit der Aufgabe einer Laudatio: die übersetzt ja nichts anderes heißt als: Lobrede, Lobpreis, Loblied, Halleluja.
Dennoch keimt sogleich ein Verdacht. Mit Recht werden sie munkeln: Das ist doch Kungelei, Kumpanei, Korruption. Eine Laudatio hat nichts anderes zu tun – als unbestechlich, objektiv ein Werk und eine Leistung zu würdigen, und genau dafür bietet ein subjektiver Freundschaftsdienst keine Gewähr.
Ein gordischer Knoten, wie ich zugeben muss.
Deshalb haue ich diesen Knoten gleich kurzerhand durch, um keinerlei Missverständnisse aufkommen zu lassen, und zitiere aus der offiziellen Begründung für den ehrenwerten Preis.
Der entscheidende Passus lautet wie folgt:
„Mit untrüglichem Gespür, klugem Instinkt, Hartnäckigkeit, Idealismus und Begeisterung für die Sache hat Matthias Burki bereits Ende der 90er Jahre angefangen, die Spoken-Word-Szene in der Schweiz aufzuspüren, einzuführen und aufzubauen.“
Nachgeschoben folgt als kurze Bemerkung: „Sich selbst stellt er dabei stets in den Hintergrund.“
Vielleicht hilft das in der Sache weiter.
Doch nochmals Schnitt.
Ich setze neu an, ganz von vorne:
Jedes gute Kulturprojekt beginnt in der Schweiz mit einer Notiz auf einem Bierdeckel. Dann wird ein Verein gegründet, und alles nimmt seinen Lauf.
Zumindest sagt man das so. Je länger diese Urszene des Vereinswesens zeitlich zurückliegt, umso mehr hüllt sie sich jedoch in mythischen Nebel. So könnte, müsste, dürfte, sollte es womöglich gewesen sein.
Auf dieses Phänomen treffen wir auch hier.
Was ist gesichert?
Zwei Freunde aus Stanser Kollegiumstagen tummeln sich Mitte der 1990er-Jahre „wie blöd“ – Zitat Burki – in Bern in der damals ausgesprochen lebhaften literarischen Fanzine-Szene. Mit Lust am Spontaneistischen schreibt man in dieser Szene Texte füreinander und verlegt sich gegenseitig in hektographierten Heften. Matthias Burki und Yves Thomi halten selbst nicht zurück und lassen ihre Ambitionen schon 1997 in ein Buch münden: Das Buch der Langeweile heißt es; es erfährt die stattliche Auflage von 700 Exemplaren. Darin schreiben Autoren und Autorinnen Verse wie diese:
„verspürte gestern
gehäufte bedenken
mich ungehemmt
weiter zu denken“
Das Buch ist vergriffen. Viele der Beitragenden sind heute vergessen, nur diese vier Zeilen sollen für den Moment Bestand haben. Sie stammen aus der Feder unseres Preisträgers, der im Titel des Gedichts „besserung“ geloben wollte. Insgesamt 3 Texte sind von ihm in dem Band überliefert, von denen speziell einer mit der Überschrift „gründungsversammlung“ ins Auge fällt.
Gründung wessen, Versammlung mit wem? Und wozu?
Nimmt das etwas vorweg?
Das bleibt in jenem Text ebenso wie auch im richtigen Leben diffus festgehalten, gewiss ist nur, dass Yves Thomy und Matthias Burki damals begonnen haben, selbst ein literarisches Fanzine mit dem Titel Das Heft das seinen langen Namen ändern wollte zu gründen und dafür oder nebenher Literaturperformances zu veranstalten. Dabei kristallisierte sich halt doch ein Verein heraus, und ein Verlag, der im Jahr 2000 eine erste Spoken-Word-CD publizierte.
Wir brauchen nicht in die Details zu gehen. Festzuhalten ist, dass hier eine pionierhafte Initiative aus der puren Lust heraus, etwas zu bewerkstelligen und etwas zu bewegen, allmählich Gestalt annahm und eine Programmatik erkennen ließ.
Natürlich hatte dieses Unternehmen längst auch seinen Namen gefunden. Das präzise Wie und Wo des Taufakts bleibt bis heute zwischen Erich Kästner und Gurten-Bier im Dunkeln. Auf jeden Fall war bereits Das Buch der Langeweile 1997 mit „Verlag Der gesunde Menschenversand“ unterzeichnet.
Ein Name wie ein Programm – und zugleich gerne ein Quell für Missverständnisse. Der Verdacht auf eine Rechtschreibe-Schwäche liegt auf der Hand. Andererseits: Gibt es ein schöneres Wort, um ein vielfältiges Netz von Bedeutungen auszulegen?
Im Begriff Menschenversand findet unweigerlich der Menschenverstand Resonanz, zugleich klingen darin Worte nach wie Menschenverband und Menschenverbund, der gesund ist, weil wo Menschen mit Verstand sich verbinden: da passiert etwas!
Ich mache es kurz: Anfänglich erschien pro Jahr eine CD, bald schon mehrere, dann auch Bücher. Das hatte zur Folge, dass der Arbeitsaufwand stieg. Eine dritte CD namens Treten Sie in meinen Verein ein blieb vorerst ohne großes Echo. Doch zwei Jahre später sorgte ausgerechnet die Publikation I wott nüt gseit ha vielsagend für die erste Zäsur. Sie ließ die öffentliche Aufmerksamkeit mit einem Mal hochschnellen und stellte die Arbeitsabläufe im jungen Verlag auf die Probe.
Wohl nicht zuletzt deshalb auch verspürte Yves Thomy 2007 das Bedürfnis, sich anderweitig zu orientieren. Matthias Burki hängte sich folglich stärker ins Zeug und widmete sich ab 2009 hauptberuflich der Verlagsarbeit. Im selben Jahr erschien der erste Band der Reihe Spoken Script.
So schaut es heute aus: In zwanzig Jahren sind genau ungefähr 61 Bücher und 61 Audio-CDs unter dem Label Der gesunde Menschenversand erschienen.
Ein immenses Programm, das Glanz und Schatten beinhaltet, die Welt partout vom Babylon Park im Kanton Afrika mit Transsibirischen Geschichten uf
d’ Inslä vom Glück Zmittst im Gjätt us und dann Schnäll i chäller erzählt.
Matthias Burki hat viel versucht: eine Kartographie des Schnees ebenso wie die sozialkritische Auseinandersetzung mit ballsportlichen Mysterien. Viicher und Vegetarier, Mondkreisläufer und Mondscheiner tauchen bei ihm auf, dennoch war er stets hert am sound.
Und achduje, das fäut no: die formale Vielfalt. Das Programm umfasst: Auftritte, Balladen, Bekenntnisse, Bildrisse, Briefwechsel, Daumentextkinos, DeVauDes, eLPis, Erbauungsschriften, Erlebnisse, Erzählungen, ein Familienalbum, Filme, Fragmente, Fundstücke, Geschichten, Hommagen, Kopfhörer, Kreuzworträtsel, Krimis, Lauteratur, Lieder, Morgengeschichten, Novellen, Postkarten, Romane, Sätze, Schallerziehung, Sprechgedichte, Sprechtexte, Subskriptionen, Typotrone, Übersetzungen, Vermutungen und ein T-Shirt zum Jubiläum.
Unger üs u no einisch: ein Programm so u ner hört – und das nur a stumpfo züri empfernt. Alles in allem umfasst es das Ganze aber kürzer.
Sie werden nun mit Recht vermuten, dass ein solch großes Unternehmen nicht nur Ausdauer erfordert, sondern auch Kostenanalysen, Businesspläne und ein knallhartes Management – genau so wie es uns in den Wirtschaftsnachrichten tagtäglich gepredigt wird. Angesichts des Dauergeredes von Renditen, Dividenden, Sparrunden und Wachstumsraten um jeden Preis beschleichen mich allerdings Zweifel, wenn ich dabei auf den Gesunden Menschenversand schiele.
Was ist, wenn ein Unternehmer wie Matthias Burki so gar nicht zur Härte und Herzlosigkeit neigt? Wenn er so freundlich und weich und sympathisch ist, zum Knuddeln geradezu – dass der Rigorismus des ökonomischen Verdrängungswettbewerbs nicht zu ihm passen will.
Ich glaube, wir kommen hier zum Kern der Sache.
Landläufig gilt, dass Freundlichkeit im Geschäftsleben umsonst ist: vergebens, geschenkt, Mumpitz. Modische Schlagworte wie emotionaler Quotient oder Entschleunigung werden in der ökonomischen Praxis meist nur belächelt. In der National- wie Betriebsökonomie – und vergessen Sie nicht: ein Verlag ist ein KMU – in dieser Ökonomie gelten Empathie und Sympathie immer noch wenig. Das survival of the fittest ist Gesetz; wer nicht mithält, brennt aus.
Dennoch glaube ich: Wir sollten uns diesbezüglich weiterbilden und von den leuchtendsten Beispielen lernen, die das moderne Wirtschaftsleben anbietet. Nehmen wir gleich hier Matthias Burki und seinen Verlag.
Hat nicht schon Adam Smith die Sympathie zur Triebfeder für die menschliche Arbeit erhoben. Und versucht die moderne Verhaltensökonomie nicht wenigstens im Ansatz, Menschlichkeit ökonomisch mitzudenken. Die Empathie hat durchaus Zukunft im Wirtschaftsleben.
Und präzis in einer solchen empathisch-sympathischen Geschäftsführung steckt das geheime Epizentrum des gesamten Menschenversand-Universums. Ich glaube mit Recht sagen können, dass Der gesunde Menschenversand – neben all den Erfolgen seiner Bücher und CDs – gerade auch deshalb floriert, weil in seiner verlegerischen Kultur Freundlichkeit und Qualität auf symbiotische Weise zusammengefunden haben. Ich denke, die Autorinnen und Autoren des Gesunden Menschenversands werden dem einhellig beipflichten – haben sie doch selbst schon den Tatbeweis erbracht.
Welcher Verleger kann von sich behaupten, dass seine Autorinnen und Autoren einen Verein aktiv und für Gottes Lohn (– so viel Transzendenz sei an dieser Stelle erlaubt –) mittragen, um mit dessen Erlös das verlegerische Unternehmen zu unterstützen. Tatsächlich ist der Förderverein Der gesunde Menschenversand ein Fanklub der sehr speziellen Art, und seine Mitgliederversammlung wird alljährlich zum munteren Spoken-Word-Erlebnis.
Nur nebenbei: Sie alle können Mitglied werden.
Der Menschenversand ist auch ein Menschenverbund. Es geht dabei um gute Literatur. Zugleich und ebenbürtig geht es auch um Bescheidenheit und Fairness und Geduld und Generosität und Initiativgeist und Respekt und Solidarität und Zusammenhalt und Zuvorkommenheit – notabene in einem Geschäftszweig, in dem nicht wenige aufgeblasene Egos mit schlechten Manieren herummarschieren.
Genau darum geht es in diesem Moment.
Wenn bei meinen kurzen Ausführungen einiges und einige vergessen gegangen sind, etwa Matthias der zweite, Markus, Christoph, Tamaris, Ursina, Daniel oder Corinne – sie werden es großmütig verzeihen.
Der hoch verdiente Preis der Landis & Gyr Stiftung hebt ganz allein Matthias Burki auf den Schild, der sich – wie erwähnt – lieber im Hintergrund hält.
Der Preis geht an einen sympathischen Pionier und lebhaften Förderer der Literatur in der Schweiz. Er wird geehrt für seinen untrüglichen Sinn für gute Texte ebenso wie für seine unternehmerische Liebenswürdigkeit und seine selbstausbeuterische Großzügigkeit.
Das alles hat – notabene nicht nur in der Schweiz – Spuren hinterlassen. Die Schweizer Literatur wäre heute eine ganz andere ohne die Leidenschaft von Matthias Burki. Mit ihm haben viele glückliche Autorinnen und Autoren eine verlegerische Heimat und ein Publikum gefunden – wie drei von ihnen jüngst am Radio bestätigt haben.
Die Schweizer Literatur hat mit Matthias Burki auch zur sprachlichen Vielfalt zurückgefunden, indem das Hochdeutsch bereichert wird durch Albanisch, e chratte vou Bärndütsch-Variatione, Französisch, Solodurnere, ein scharfes Thurgauer-Idiom, Wallisertitsch oder Zürislang.
Kurzum:
Mit seiner Leidenschaft, seinem Herzblut, seinem Engagement und natürlich mit seinem Verlag baut Matthias Burki seit zwei Jahrzehnten eine Brücke zwischen der Literatur in ihrem klassischen Sinn – also Theater, Prosa, Poesie – und den historisch jüngeren Formen des Poetry Slams, der Spoken Words und der literarisch-musikalischen Performance. Spoken Word ist in dem Sinn mehr als nur eine hörbare Begriffshülse. Darin schwingt auch ein jugendlich beschwingtes Lebensgefühl mit, dass der alten Tante Literatur durchaus gut tut.
Das alles freut mich objektiv als Beobachter der Schweizer Literatur ebenso wie subjektiv in freundschaftlicher Verbundenheit. Deshalb hoffe ich, dass Der gesunde Menschenversand, Menschenverstand und Menschenverband noch viele weitere Jahre Bestand haben wird und sich noch ein paar Mal kreativ erneuert.
Ein Applaus für dich, Matthias.
Beat Mazenauer, Luzern, 20. Oktober 2018