Im Ministerium der Amanda Lee Koe

Amanda Lee Koe (Foto: Kirsten Tan)
Amanda Lee Koe (Foto: Kirsten Tan)

Vor drei Jahren als unabhängiger literarischer Digitalverlag gegründet, sagt der CulturBooks Verlag heute dem „gut gemachten Printbuch eine glänzende Zukunft“ voraus. Und so gibt es dort neben E-Books auch eine kleine Handvoll erlesener Hardcover. Man gibt sich unplugged. Eine besonders aufregende und erfolgreiche Entdeckung findet sich heute in unserer Auslage. Willkommen im verschneiten neuen Jahr./sw

Im Ministerium für öffentliche Erregung

Das Schreiben von Amanda Lee Koe ist von ihren Wohnorten Singapur und New York geprägt. In den Texten des Erzählbandes Das Ministerium für öffentliche Erregung stolpern die Charaktere auf der Suche nach Liebe und finden oft etwas gänzlich anderes. Manche von ihnen sind Persönlichkeiten im Licht, andere führen ein unauffälliges Leben im Verborgenen. Gerade deren Geschichten werden jedoch ganz genau beleuchtet.

Alles für die Liebe?

„Als Sie Karussell entwickelten, die Arbeit, in der die im Querschnitt halbierten Kadaver zweier Pferde an entgegengesetzte Enden einer Metallstange gekettet an einem Drehpunkt hängen und während der gesamten Dauer der Ausstellung über den Boden geschleift werden, woran haben Sie da während des Entstehungsprozesses gedacht?“

Manche Dinge schockieren offenkundig in Amanda Lee Koes Geschichten; hier sowohl die Leser als auch die Besucher der Galerie, die sich beim Anblick der Installation Karussell übergeben. Die wahrhaft erschreckenden Dinge sind aber meist gar nicht so offensichtlich und spielen sich hinter den Kulissen ab. Der Grund für fast alles, was Menschen tun, ist, wenig verwunderlich, die Liebe oder der Wunsch danach. Der Künstler beschreibt, wie er mit Karussell das langsame Scheitern von Beziehungen darstellen wollte, in denen sich die Partner nicht mehr näherkommen und gegenseitig aufreiben (eine Idee, die von der Autorin mit solcher Selbstverständlichkeit vorgebracht wird, dass man sich beim Lesen beunruhigend an reale Kunstinstallationen erinnert fühlt). Das zweite Werk Kastell in der Ausstellung sieht zwar nicht so brutal aus, ist es in seiner Entstehungsgeschichte aber noch viel mehr, und dieses hat der Künstler geschaffen, um eine Frau zu beeindrucken, die ihn verlassen hat. So entsteht eine skurril wirkende Spannung zwischen der Bilderwelt des Künstlers, in die der Leser direkt hineingeworfen wird, den fast banal wirkenden Aussagen, die er über seine Inspirationen macht, und dem Zusatz, dass er in der Kuratorin der Galerie auf eine Ex-Freundin trifft.

Diese Geschichte zeigt, wie Koe sich nicht scheut, Schockeffekte und dramatische Ereignisse aneinanderzureihen. Die Einfälle in manchen Kurztexten würden für einen ganzen Roman ausreichen, wobei sich die Hauptfiguren oft sehr passiv verhalten und die Dinge mit sich geschehen lassen. Wenn sie schließlich aktiv werden, so ist ihr Verhalten oft moralisch fragwürdig, auch wenn ihm das Verlangen nach Liebe zugrunde liegen mag. In der besonders beeindruckenden Geschichte „Faustpfand“ bindet eine als wenig attraktiv geltende Frau einen Burschen mit Geld und Geschenken an sich, der sowohl durch seine Herkunft als auch durch seine Arbeit als unter ihr stehend wahrgenommen wird – sein Kapital ist dafür, dass er jung und hübsch ist. Die Vorteile, die sie daraus ziehen, sind für beide offenkundig; es gibt keine Täter und Opfer mehr, sondern nur das Geschäft.

Singapur und New York

Mit dem Nebeneinander verschiedener Kulturen und Sprachen wurde die Autorin in ihrer Heimatstadt Singapur vertraut: „Dass ich ausschließlich in dichtbesiedelten Weltstädten aufgewachsen bin, hat mein Ohr unempfindlich gegenüber der Diversität der verschiedenen Sprachen gemacht, da dies für mich etwas Gegebenes ist – Englisch, Malaiisch, Chinesisch und Hokkien können ganz natürlich nebeneinander auftreten, sogar im selben Satz.“ Sprache kann natürlich viel über die Herkunft einer Person und wie er oder sie sich präsentieren will ausdrücken, so wie etwa in der Geschichte „Liebe ist keine große Wahrheit“, in der die Tochter nach ihrer Heirat versucht sich abzuheben und mit ihrer Mutter plötzlich Englisch statt Mandarin spricht, obwohl diese es kaum versteht. Auch auf die Unterschiede, die innerhalb einer Sprache auftreten können, weist Koe hin: „Man sollte eine persönliche und politische Entscheidung zwischen Singlisch (dem singapurischen Englisch), dem britischen Englisch (für mich in Südostasien die Sprache der Kolonialisierung) und dem amerikanischen Englisch (für mich die Sprache des gegenwärtigen Kulturimperialismus und meines momentanen Wohnorts) treffen.“

Derzeit fühlt sie sich als Schriftstellerin in New York wohler: „Singapur ist eine sehr effiziente und bequeme Stadt, logistisch gesprochen. Politisch und kulturell fühle ich mich in New York mehr zu Hause. Das Ausmaß an öffentlichem Diskurs in Singapur lässt noch sehr zu wünschen übrig.“  Als Herausgeberin des Literaturmagazins Ceriph hält sie eine enge Verbindung mit der Kunst- und Kulturszene Singapurs: „In den letzten Jahren hat sich vieles entwickelt, aber die Szene befindet sich immer noch im Anfangsstadium und ist manchmal vom Inseldasein geprägt.“ Dies hängt natürlich mit den besonderes geographischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten Singapurs zusammen: „Wir sind ein Land von der Größe einer Stadt und ohne Hinterland. Eine Stadt ist normalerweise eine selbstgewählte Besiedelung, aber bei uns ist das nicht so.“

Geschichte und Politik im Kleinen

Die Muttersprache sowie literarische Sprache von Amanda Lee Koe ist Englisch. Als eine wichtige Sichtweise auf ihr Schreiben und das ihrer KollegInnen  nennt sie das Buch „Kafka. Für eine kleine Literatur“ von Deleuze und Guattari: „Sie geben mir die Möglichkeit, Schriftsteller wie mich außerhalb von alleinig nationalen oder gar postkolonialen (was immer noch derart begrenzt ist, weiße Vorherrschaft ins Zentrum der Macht zu stellen) Interpretationen zu sehen.“ Der von den Autoren dafür geprägte Begriff ist „Deterritorialisierung“, und sie verwenden als prominentes Beispiel Kafka, der, was seine Herkunft, Kultur und Sprache angeht, einer Minderheit im eigenen Land angehörte und mit einer Sprache aufwuchs, die im Grunde nicht die seine war. Der Begriff „kleine Literatur“ kann sich auch darauf beziehen, dass von (scheinbar) „kleinen Dingen“ berichtet wird, was im Ministerium für öffentliche Erregung oft der Fall ist.
Die Geschichte „Vierzehn Einträge aus dem Tagebuch der Maria Hertogh“ erzählt von einer Frau, auf deren Rücken die Kämpfe einer Kolonialmacht ausgetragen werden und deren Leben lange Zeit nur als Projektionsfläche für das Verlangen anderer dient: „Wie unglaublich es ist, den eigenen Egoismus für jemand anderes Glück zu halten.“ Die (wahre) Geschichte Maria Hertoghs, die unfreiwillig zu einer öffentlichen Person wurde, erzählt Amanda Lee Koe auf sehr private Weise nach – als Beispiel für Frauen, über die viel gesprochen wurde, deren Stimme man aber nie gehört hat.
Die subjektive Erzählstimme der oft weiblichen Figuren und der unverstellte Blick auf sehr persönliche Details machen viel von der Faszination des Buches aus und sind für die Autorin selbst besonders wichtig: „Oft wird die subjektiv-weibliche Stimme als weniger kraftvoll angesehen, eben weil sie subjektiv ist, wobei ich an das Gegenteil glaube.“

Miriam Mairgünther (adaptiert von der Buchkultur 169)

(sentafoto)

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  • Amanda Lee Koe: Ministerium für öffentliche Erregung. Storys. (Ministry of Moral Panic, 2013.) Aus dem Englischen von Zoë Beck. Hamburg: CulturBooks unplugged 2016. 240 Seiten. 22,00 Euro, E-Book: 14,99 Euro.

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