„Fatrastische Fantasien“ nennt Dagmara Kraus ihre neuen Texte, in Anlehnung an die „Unsinnspoesie“, die sich im 13. Jahrhundert in Frankreich entwickelte. Ausgehend von der Lautschrift eines alten Französisch-Lehrbuchs, entstanden „falschösische“ Collagen und in mehreren Transkriptionsschritten Umschriften in fatrastisches Deutsch.
So erläutert der Verlag. (Siehe auch den entsprechenden Eintrag in der Wikipedia.)
Dagmara Kraus behält die Form der Elfzeiler weitgehend bei, mit zwei Variationen: das letzte Gedicht hat zweiundzwanzig Verse, das dritte acht:
gott will immer alles panieren
er wühlt in mehl
und eischleim
und panadeer pfeift
und singt dabei
und was hier fehltdas wälzt und würzt er gerade
Ein untypisches Gedicht – ein vollkommenes Gedicht. Damit ist freilich nichts gegen die anderen Texte des Büchleins (eigentlich ein Heft) gesagt. Zweifellos, die mittelalterliche Dada-Dichtung, und auch die des 20. Jahrhunderts, hat in Dagmara Kraus eine würdige Nachfolge gefunden.
Die vogelmot-Poesien sind, und so verlangt es die Form, unsinnig, aber in ihrem Unsinn zwingend und unwiderlegbar: „die reise in muskelgesellschaft ging glimpflich vonstatten”. Die alogischen Verse ‚tun so‘, in Wortfolge und Gestus, als gehorchten sie der Logik.
Dagmara Kraus‘ erste Sprache war Polnisch. Sie hat sich die Möglichkeit erhalten, von außen auf das Deutsche zu blicken – das Surreale ist ihr eine natürliche Ausdrucksweise (oder Eindrucksweise), erst in zweiter Linie eine ‚Technik‘. Die Bedeutungen kippen mühelos, wie im Spiel: Ein Gewitter ist im Anzug, verkündet der erste Vers in „neun An’tsugue” [neun Anzüge]. Und dann aber: „nour Ist Der in Der Vè’che ain ‚-guélaou ‚feun” [nur ist der in der Wäsche eingelaufen]. Ein Muster für den dichterischen Blick auf die Welt. Wo Risse/Sprünge/Brüche sind, ist Poesie (möglich).
Der Preis für das vogelmot scheint vergleichsweise hoch, ist aber doch moderat im Vergleich zu dem, was einmal dafür verlangt werden wird. Die Anschaffung lohnt so oder so. – Meinolf Reul
- Dagmara Kraus, das vogelmot schlich mit geknickter schnute. Zweiundzwanzig Elfzeiler. 32 Seiten, geheftet. 19,5 x 13,5 cm. Gestaltung: Andreas Töpfer. kookbooks, Berlin 2016. 22,00 Euro [Limitierte Auflage von 222 numerierten Exemplaren im Risographie-Druckverfahren]
Dagmara Kraus, geboren 1981 in Wroclaw, lebt als Lyrikerin und Übersetzerin in Carpentras und Berlin.
Weitere Werke:
kummerang. Gedichte, kookbooks 2012
kleine grammaturgie, Urs Engeler/roughbooks, Schupfart (CH) 2013
revolvers für flubis, SuKuLTuR, Berlin 2013
wehbuch (undichte prosage), Urs Engeler/roughbooks, Schupfart (CH) 2016
(als Übersetzerin und Herausgeberin)
Miron Białoszewski, Wir Seesterne, Reinecke & Voß, Leipzig 2012
Ders., Das geheime Tagebuch, edition.fotoTAPETA, Berlin 2014
Ders., Vom Eischlupf, Reinecke & Voß, Leipzig 2015
Wer sich für die Drucktechnik der Risographie interessiert, kann sich hier kundig machen:
Stéphanie Seematter, Risographie – Die ideale Drucktechnik? Ausdruck eines Druckverfahrens (F+F Schule für Kunst und Mediendesign Zürich, 2014)
Ein kleiner Auszug daraus:
„Es kann mit einer sehr hohen Geschwindigkeit und in ökologisch sinnvoller
Weise gedruckt werden. Der Ausdruck des Risographen hat Charakter und hebt sich beispielsweise im Vergleich zum Laser- oder Tintenstrahldrucker dadurch ab, dass das Erscheinungsbild der einzelnen Ausdrucke einzigartig ist. Dieser spezielle Drucker rastert das Bild sehr grobkörnig. Er ist fast unberechenbar, und möglicherweise liegt genau darin seine Attraktivität: Die Lust auf experimentelles Arbeiten wird geweckt!” (S.7)