Hotlistlesen (7) – Lumbre von Hernán Ronsino

Hotlist Logo 2016Als ihm der Vater mitteilt, dass sein Freund Pajarito tot im Graben gefunden wurde, macht sich Federico Souza sofort auf den Weg. Zwölf Jahre war er nicht in seiner alten Heimat Chivilcoy, nun wird er die nächsten Tage dort verbringen. Drei Tage für zwölf Jahre sind eine kurze Zeit – dafür erlebt man diese als LeserIn beinahe minutiös mit.

Lumbre („Glühen“) knüpft lose an Hernán Ronsinos Roman Letzter Zug nach Buenos Aires an. In diesem (2012 erschien die deutsche Übersetzung) tritt der jetzige Erzähler Federico Souza jedoch erst am Ende in Erscheinung – als neugeborenes Kind eines der Protagonisten. In Lumbre ist er in den frühen Vierzigern und lebt als Drehbuchautor im wenige Stunden entfernten Buenos Aires. Der Besuch löst nicht nur bei Federico einen regelrechten Erinnerungsschwall aus. Die schon lange tote Mutter, die Metzgerei des Großvaters, der Schwimmunterricht mit seinem Freund Areco und die verpatzte Rolle im Schultheater: Eine Geschichte löst die nächste ab, die alten Nachbarn geben einander die Klinke in die Hand – das ist alles etwas zu viel. Ein paar Nebenstränge weniger, dafür ein bisschen mehr Farbe hätten dem Roman gutgetan.

Hernán Ronsino (Foto: © Pocha Silva)
Hernán Ronsino (Foto: © Silva Pocha)

Dabei gelingen Hernán Ronsino auch intensive Bilder. Wenn etwa der junge Federico mit Pajarito durch die Stadt schleicht und Bücher versteckt. Überhaupt scheint Pajarito Lernú eine der spannenden Figuren in Lumbre zu sein. Kurz vor seinem Tod hat er für Federico eine Kuh geklaut. Dieser beachtet das ungewöhnliche Geschenk kaum, unternimmt aber zaghafte Versuche, die Umstände von Pajaritos Tod aufzuklären. Insgesamt wirkt der Erzähler recht unterkühlt, was sich leider auf den Text überträgt. Einzig wenn er auf seine in Buenos Aires verbliebene Freundin Hélène zu sprechen kommt, blitzt so etwas wie Leidenschaft auf. Dass er sie während seines gesamten Aufenthalts aufgrund technischer Schwierigkeiten nicht anrufen kann, ist durchaus symptomatisch für den Roman.
Ein kenntnisreiches Nachwort und ein Glossar des Übersetzers bieten den deutschsprachigen LeserInnen eine Hilfestellung in der Geschichte und Kultur Argentiniens.

Andreas Laurent (Gastrezensent der Buchkultur)

978-3-03762-055-7

  • Hernán Ronsino: Lumbre. Aus dem argentinischen Spanisch übersetzt von Luis Ruby. Zürich: Bilger Verlag 2016. Gebunden mit Lesebändchen, 12 SW-Fotos von Silva Pocha. 340 Seiten. 25,80 Euro

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