Indie-AutorInnen schreiben für uns – Daniela Emminger (öbp 16)

Wer bei einem unabhängigen Buchverlag seine Bücher verlegt, die und den nennen wir einfach mal Indie-Autorin und Indie-Autor. Die beiden müssen das nicht immer bleiben, Literatur lässt sich nicht binden, aber es ist schön, wenn es so ist.
Beim Hotlistblog kamen bisher nur die fertigen Werke, oft die Großform Roman, solcher AutorInnen zu Wort. Jetzt lassen wir sie direkt für uns und alle Prosa schreiben.

Es ist die Zeit der Buchpreise und ihrer Nominierten, also die Zeit der langen und kurzen Listen. Es herrscht Betriebsunruhe, gebannte Aufmerksamkeit, Zittern und Bibbern. So freuen wir uns besonders, mit Daniela Emminger eine Kandidatin des frisch ins Leben gerufenen Österreichischen Buchpreises als Gast unserer losen Prosa-Reihe zu begrüßen.
Die Schriftstellerin steht mit ihrer kunstvollen Novelle Gemischter Satz auf der Longlist. Dort steht sie gut. Der Titel erschien im September im Czernin Verlag, ein Jahr zuvor veröffentlichte sie ebendort ihren turbulenten Roman Die Vergebung muss noch warten. Seit den Anfängen ihres Schreibens findet Daniela Emminger Heimaten in unabhängigen Buchverlagen. Gesehen wurde sie ebenso bei den Verlagen Ritter und Klever. Seit mehr als einem Jahr arbeitet sie an ihrem neuen Roman, für den sie zwei Sommer lang nach Kirgistan reiste. Die Bischkekcollage ist dort entstanden.

Bischkekcollage.

Schweiß, Dunkelheit, Hitze. Ein Klangteppich aus Tonspuren und Geräuschen zog durch das gekippte Fenster in ihr Schlafzimmer ein, legte sich auf den Boden und über ihre unruhigen Träume. Sybille wurde nur wach, wenn sie zur Toilette musste oder großen Durst verspürte, schlurfte dann durch den dunklen Flur ins Bad oder zum Kühlschrank, um einen großen Schluck Wasser aus einer der Flaschen zu nehmen, die Guljamal oder Elaine vorausschauender Weise besorgt haben mussten. Dann legte sie sich wieder hin, sie wusste nicht, wie spät es war, eine bleierne Müdigkeit übermannte sie immer wieder aufs Neue, walzte sie auf ihr Laken, ins Bett hinein, wo sie platt wie eine frisch geteerte Straßendecke lag und um ihr Leben schlief. Sonnenstrahlen, Dämmerlicht, Finsternis – es wurde hell und wieder dunkel. Sie fühlte nur Hitze und kratzigen Staub in ihrer Mundhöhle und auf der Haut, öffnete bei einem ihrer Flurausflüge alle Fenster und hörte sich langsam und unterbewusst in das Bischkeker Leben (und die kirgisischen Lande) hinein. Sounds: Autohupen zerstückelten die Luft. Polizeisirenen tanzten Disco. Trillerpfeifen lenkten melodiös den Strom. Eine Waschmaschine schepperte und gurgelte vor sich hin. Eine Kreissäge quietschte und schliff. Dazwischen – das tiefe Brummen eines Presslufthammers, reges Hämmern, Klopfen, Schlagen, dumpf und spitz, das Knattern und Rattern von Maschinen, die Rauf- und Runtergefahren wurden. Alles klang seltsam künstlich in ihren Ohren, wie von billigen Spielzeugautos made in Taiwan, die kleine Kinder auf Jahrmärkten von Großeltern geschenkt bekamen, die nicht Nein sagen konnten. Der Verkehr rauschte gleichmäßig bei niedriger Frequenz vor sich hin. Sybille träumte schwarz-weiß. Die Geräusche hatten sie absurder Weise in alte Stummfilmwelten à la Charly Chaplin oder Laurel and Hardy katapultiert, in denen die Oldtimer und Schrottkarren lautlos aus den letzten Löchern pfiffen, sang- und klanglos über holprige Landstraßen fuhren. Mitten im maschinellen Singsang auch Lebendiges: Männer, die sich mal lautstark und aggressiv, mal ruhig und melancholisch in einer fremden Sprache unterhielten oder sich zum Gruß ein gutgelauntes „Salamatsyzby“ zuriefen, Frauen, die lachten, Kinder, die irgendwo in der Nachbarschaft fröhlich und ausgelassen spielten, Live-Musik und beruhigendes Tellerklappern aus dem benachbarten Restaurant, ein dauerschreiender Hahn, der offensichtlich blind war und den Tag nicht von der Nacht unterscheiden konnte, wildes Esels-I-A-en, Hundegebell, Grillenzirpen, lästiges Gelsensurren, Vogelgezwitscher, darunter manchmal ein Kuckucksruf, Schlagermusik. Still war es nie. Doch Sybille schlief wie ein Baby, ihre Lärmempfindlichkeit schien mit dem ersten Schritt auf kirgisischem Boden automatisch verflogen zu sein – offensichtlich ein natürlicher Mechanismus, ein kriegerischer Instinkt?, ohne den es sich hier nicht überleben ließ. Auch olfaktorisch machte sich die Stadt bereits bemerkbar: es roch nach Fleisch, Blumen, Gewürzen, Teer, Abgasen, Regenwürmern, Heu, Kaffee, Kot, Küche. Die vorherrschende Geräusch- und Geruchskulisse, die geträumten und abgespeicherten Ersteindrücke vervollständigten sich im Halb- und Tiefschlaf zu einem farbigen Bild, einem Gemälde, dessen Ölfarben und –schichten noch feucht waren, dessen Meister den Pinsel immer noch in der Hand hielt. Ganz offensichtlich hatte Sybille die Strapazen und die Zeitverschiebung der Reise unterschätzt. Sie schlief und schlief. Die (Außen)Welt musste noch warten.

Am vierten Tag ging Suusar das Wasser aus. Sie setzte sich auf und strampelte sich aus dem Bett. Ihr Kopf pochte, ihr Hals kratzte, sie hatte Hunger und Durst. Auf müden Beinen schlurfte sie ins Bad, zog sich aus und stellte sich unter die Dusche. Das Wasser kam in einem kläglich dünnen Rinnsal aus dem Hahn, aber es war angenehm kühl und erfüllte seinen Zweck. Sie zog sich an, warf zwei kurze Blicke in den Spiegel und den Kühlschrank, steckte Wohnungsschlüssel und Brieftasche in ihre lederne Umhängetasche und verließ das Haus. Es war Zeit hinaus zu gehen.

(Romanauszug)

  • Daniela Emminger, geboren 1975 in Oberösterreich, lebt und arbeitet seit 2008 als Schriftstellerin und freie Journalistin in Wien. Davor war sie Werbetexterin in Hamburg und Berlin sowie Redakteurin in Litauen und Lettland. Bisherige Veröffentlichungen: Leben für Anfänger (Ritter Verlag 2004), Schwund (Klever Verlag 2014). Diverse Stipendien, zuletzt Adalbert-Stifter-Stipendium. Auf der Longlist des erstmalig 2016 vergebenen Österreichischen Buchpreises.

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  • Daniela Emminger: Gemischter Satz. Novelle. Wien: Czernin Verlag 2016. 112 Seiten. 18,90 Euro. Auch als E-Book
  • Daniela Emminger: Die Vergebung muss noch warten. Roman. Wien: Czernin Verlag 2015. 256 Seiten. 21,90 Euro. Auch als E-Book

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Foto der Autorin: © Nina Kainrath

(Senta Wagner)

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