„Die Kühe einer Herde in Rheinland-Pfalz haben ihr Wiedersehen in der Nacht zum Mittwoch laut gefeiert und damit Verwirrung unter Menschen gestiftet. Beunruhigte Ohrenzeugen riefen die Polizei wegen starken Lärms. Die Beamten trafen vor Ort auf 20 ausgelassen muhende Kühe. Die Polizisten ermittelten ihre Besitzerin. Diese erklärte, bei der Umsiedlung auf eine neue Weide seien die Jungtiere zunächst von den alten Tieren getrennt worden. Das anschließende Wiedersehen feierten die Rinder laut Polizei bis in die Nacht.”
Es ist schon zwei Tage her, dass der Hotlistblog auf die von Helmut Höge geschriebene Reihe „Der kleine Brehm” (im Verlag Peter Engstler) hingewiesen hat – geliebter proletarischer Bruder der von Judith Schalansky herausgegebenen „Naturkunden” (bei Matthes & Seitz Berlin) -, siehe den Beitrag Verlag Peter Engstler – Neuerscheinungen 2013 vom 17.1.2013. / mr
In diesem Juni erschien Band 9 der auf zwölf Bände angelegten Reihe, Kühe.
Höge holt auf knappem Raum weit aus, von der Domestizierung des (ausgestorbenen) Auerochsen ca. im 7. bis 8. Jahrtausend v. Chr. – laut einer von ihm herangezogenen Studie der Universität Leipzig – und den heiligen Kühen Indiens bis hin zur industriellen, von wundertätigen Monsanto-Pestiziden unterstützten, Intensivlandwirtschaft, in der die Kühe nur noch als „Produktionsmaschinen” gesehen werden und in Hinblick auf ihre „Fleischleistung” und „Milchleistung” taxiert werden. (Höge berichtet von einem Psychoanalytiker, Jeffrey Masson, der zu Recherchezwecken für sein Buch The Emotional World of Farm Animals eine Landwirtschaftsmesse in Neuseeland besuchte und mit zwei Frauen ins Gespräch kam, „die sich um die Tiere kümmerten”, und deren eine er mit den Worten zitiert: „Ich sehe gutes rotes Fleisch”.)
Auf der anderen Seite der Skala stehen manche irrsinnige Tierschützer. Höge wirft einen Blick auf die Website viva-vegan.info:
„Ein dreijähriger Bulle hat nahe Köln seinen Sklavenhalter angegriffen und tödlich verletzt. […] Wir verneigen uns vor dem Held der Freiheit. Mögen ihm viele weitere Rinder in den Aufstand der Geknechteten folgen.”
Im Internet gibt es einen kleinen Filmschnipsel mit Glenn Gould. Er erzählt von einem Spaziergang entlang einer Kuhweide, auf dem er – so ergab es sich – Mahlers Lied „Des Antonius von Padua Fischpredigt” sang. Dabei blickte er zu den Kühen hin und bemerkte, dass diese alle zu ihm hinsahen. Daraufhin sang er mit größerer Kraft. Die Kühe kamen an den Zaun.
„It was an extraordinary touching occasion. I really thought that a very special bond had been established. Certainly I’ve never encountered so attentive an audience before.” (Transkription ohne Gewähr.)
Die dreißig Seiten von Höges engagierter Kuh-Berichterstattung (dazu kommen neunzehn Seiten kein bisschen weniger interessanter Anmerkungen) sind schnell gelesen. Sie warten mit vielen Überraschungen auf, z. B. mit dem bemerkenswerten Wort „Mitkühe”. das eine Tierärztin anlässlich der Grünen Woche verwendete, oder mit der nicht verbürgten Information, dass Tolstoi die Hauptpersonen in Anna Karenina nach der Kuh Anna und dem Bullen Wronski auf seinem Gut Jasnaja Poljana benannt habe. Man erfährt etwas über den „Cow Sense”, den manche haben und andere nie lernen („Die Kuh läuft dahin, wo der Kopf hinzeigt”) und über „die sechs Freiheiten der Weide: Licht, Luft, Ruhe, Raum, Futter und Wasser”, und liest erstaunt, dass sich Kühe, wenn sie können, „nahezu auf der ganzen Welt mit Vorliebe in Nord-Süd-Richtung” legen.
Höge lässt auch seine eigenen Erfahrungen als Landwirtschaftshelfer einfließen:
„Wir stapelten den Lastwagen sorgfältig mit Ballen voll – trotzdem fehlten am Ende immer einige Zentner am vereinbarten Gewicht. Kurzerhand schloss der Bauer einen Schlauch an und bespritzte die Strohballen so lange mit Wasser bis der Transport die nötige Schwere hatte und der Fahrer zufrieden abfuhr.”
Am Schluss steht eine philosophische Denkaufgabe:
„Für den Marxisten Maurice Merleau-Ponty besteht der ‚Knotenpunkt’ all dieser hier angedeuteten Probleme darin, wie er in Humanismus und Terror (1947) schrieb, ‚dass unsere Beziehungen zu den Anderen an unseren Beziehungen zur Natur ablesbar sind, und unsere Beziehungen zur Natur an unseren Beziehungen zu den Anderen.’ Aber ist die Kuh ‚Natur’ oder eine ‚Andere’?”
Helmut Höge, Kühe. 52 Seiten, geheftet. Umschlagabbildung von Susanne Gannott. Verlag Peter Engstler, Ostheim 2015. 10,00 Euro
(Der kleine Brehm, Bd. 9)
Schön garniert mit Anekdoten (Gould!) aus eigenem Fundus ist die Erwerbslust für dieses feine Büchlein ungemein gesteigert.
Mitkühe – toll.
Vorige Tage las ich verblüfft in der Berliner Zeitung von der Unterweisung, wie man sich ungefährdet einer Kuhherde nähern sollte (oder eben auch besser nicht). Das klang wie Serengeti. Wenn man mit den sanften, gemachen Schwarzbunten als Nachbarn groß geworden ist, wundert man sich.
Den Artikel lese ich mal, irgendwann komme ich wieder in herdenreiche Gefilde.
Das Buch – und die Reihe überhaupt – kann ich nur empfehlen. Die kommenden Bändchen: Fische, Krähen, Schafe, jeweils zum Preis von 10,00 Euro. (mr)